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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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»Die großen Symbole sind denen auf dem Diskos sehr ähnlich.«
    »Minoisch, das denke ich auch«, murmelte Babio. »Zumindest von vergleichbarem Alter und aus einer verwandten Kultur.«
    »Und die kleinen Schriftzeichen?« Jupiter deutete auf die schmaleren, unleserlichen Zeilen zwischen den antiken Hieroglyphen.
    »Sie wurden später eingekratzt«, sagte Babio. »Nicht einmal besonders kunstvoll. Wer immer das getan hat, hatte keinen großen Respekt vor dem Schatz, den er in Händen hielt.«
    »Kannst du feststellen, wann das geschehen ist?«
    »Nur schätzungsweise. Zwischen dem sechzehnten und neunzehnten Jahrhundert, würde ich sagen. Heutzutage sind die Leute zu sophisticated, als daß sie einen solchen Wert vorschnell zerstören würden.« Babio grinste listig. »Und um den Wert geht es dir doch, oder?«
    »An wen könnte man so etwas verkaufen?«
    »Oh«, machte Babio. »Zum Beispiel an mich.«
    Jupiter winkte ab. »Du hast noch nie irgend etwas so schnell von mir kaufen wollen.«
    »Ein erstes Mal für alles, mein lieber Freund. Ein erstes Mal für alles.«
    Jupiter setzte sich auf die Schreibtischkante. »So funktioniert das nicht, das weißt du. Du bist kein Hinterhofhehler, Babio. Du würdest nicht versuchen, mich derart plump übers Ohr zu hauen.«
    »Warum sollte ich dich zu irgendeinem anderen schicken?« Der Zwerg schaute wieder durch die Lupe. »Ein einzigartiges Stück, in der Tat. Auf dem freien Kunstmarkt ist es als Bruchstück nicht viel wert. Aber ich würde dir ein hübsches Sümmchen dafür zahlen.«
    »Erzähl mir erst etwas darüber.«
    Der Zwerg wiegte seinen übergroßen Kopf bedächtig vor und zurück. »Erzählen, erzählen«, knurrte er und fixierte Jupiter mit einem scharfen Blick. »Was kannst du mir darüber erzählen?«
    »Nichts, das dir helfen würde.«
    Babio lachte verstohlen. »Natürlich nicht. Kein Fundort, kein Besitzer, kein gar nichts. So ist es doch, oder?« Er seufzte gekünstelt.
    »So ist es immer.« »Nun?« Ein Hauch von Ungeduld lag in Jupiters Stimme.
    »Ich nehme an, du bezahlst mir nichts für meine Mühe.« Eine trockene Feststellung, auf die Jupiter mit einem Nicken antwortete.
    »Ich habe dir mehr als einmal einen Gefallen getan, Babio. Das weißt du.«
    »Alte Schulden eintreiben, hm?«
    »Wenn du so willst.«
    »Ts, ts, ts«, zischte der Zwerg. »Die Welt ist schlecht.«
    »Sie wird nicht schlechter dadurch, daß wir die Dinge vor uns herschieben.«
    »Deine Ungeduld war schon immer dein Fehler, mein Junge.«
    Jupiter lächelte bitter. »Wenn du höflich bitte sagst, verrate ich dir vielleicht noch ein paar andere.«
    »Etwa deinen Mangel an Menschenkenntnis?« erkundigte sich Babio humorlos. »Oder deinen Mangel an Mut?«
    »Jemand, der sich die meiste Zeit über allein in seiner Villa verbarrikadiert, sollte nicht abfällig über den Mut anderer reden.«
    Babio ließ das Thema fallen und folgte mit dem Zeigefinger vorsichtig dem Verlauf eines der Symbole auf der Scherbe. »Mindestens dreitausend Jahre alt. Glasierter Ton. Die Zeichen wurden mit Hilfe einer frühen Drucktechnik eingearbeitet.«
    »Irgendeine Idee, was sie bedeuten könnten?«
    Babio verneinte. »Anhand eines Bruchstücks? Das ist so, als würde ich dir eine halbe Seite aus dem Alten Testament geben, und du solltest daraus etwas über die Kreuzigung Jesu ablesen.«
    »Gar keine Chance?«
    Der Zwerg hob die Schultern. »Jemand, der sich auf so etwas versteht, würde nicht die komplette Zeichenfolge brauchen, vielleicht nicht einmal die Hälfte. Aber das hier dürfte …«, er maß die Scherbe mit einem scharfen Blick, »vermutlich nicht mehr als ein Sechstel sein. Definitiv zuwenig.«
    »Und der andere Text? Die kleineren Zeichen? Sind sie erst eingekratzt worden, nachdem die Scheibe zerbrochen war, oder sind auch sie nur ein Teil von etwas Größerem?«
    Babio untersuchte die Ränder der Tonscherbe. »Die Linien gehen über die Bruchstellen hinaus. Ich denke, wir können mit relativer Sicherheit annehmen, daß die Scheibe noch vollständig war, als der Text eingeritzt wurde.«
    Jupiter nickte bedächtig. Das entsprach seiner eigenen flüchtigen Untersuchung der Scherbe. »Glaubst du, daß es eine reguläre Schrift ist oder ein Code?«
    Babios Brauen zuckten nach oben. »Wieso ein Code? Was gäbe es denn zu verbergen?«
    »Netter Versuch«, entgegnete Jupiter grinsend.
    »Schade.« Der Zwerg legte die Lupe beiseite und kramte in seinen Schreibtischschubladen. »Erlaubst du mir, ein paar

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