Das Haus des Daedalus
Gesicht gezeichnet von einem Netz tiefer Falten. Seine Augen aber huschten wachsam umher, blieben nie lange auf Landini gerichtet, auch während er mit ihm sprach, sondierten statt dessen die Umgebung das Treiben der Schaulustigen und die Reaktionen der Wachmänner.
Obwohl Coralina Kardinal von Thaden bislang nur auf Fotografien gesehen hatte, erkannte sie ihn sofort. Der Leiter der Glaubenskongregation war kein beliebter Mann im Vatikan. Viele hätten gerne einen anderen auf seinem Stuhl gesehen, doch der Papst selbst hielt angeblich große Stücke auf ihn. Von Thaden galt als streng, konservativ, allerdings auch hochgebildet und erfahren. In seiner Jugend hatte er lange Zeit in Südostasien gelebt, und man erzählte sich, die Erfahrungen dort hätten seine strengen Prinzipien geprägt.
Coralina konnte nicht anders als diese beiden Männer anzustarren, die augenscheinlich in ein erregtes Gespräch vertieft waren. Sie blieben hinter der Barriere am Eingang stehen, sehr nah beieinander, damit kein anderer mitanhören konnte, was sie besprachen.
Coralina verfluchte sich, weil sie noch einmal hierhergekommen war. Gerade wollte sie sich abwenden, als Landini sie über die Schulter des Kardinals hinweg entdeckte. Von Thaden redete noch einen Augenblick auf ihn ein, ehe er bemerkte, daß die Aufmerksamkeit seines Assistenten von etwas abgelenkt wurde. Er drehte sich suchend um, und sogleich beugte sich Landini vor, den Blick weiterhin auf Coralina gerichtet, und sagte etwas ins Ohr des Kardinals.
Coralina fühlte sich seltsam entblößt, als jetzt beide Männer sie über die Distanz hinweg anstarrten, Landini mit seinem berechnenden Lächeln, von Thaden kühl und ohne jede Regung.
Unsicher schenkte sie ihnen ein knappes Nicken, dann wandte sie sich ab und ging davon. Dennoch spürte sie, daß die Blicke der beiden Geistlichen weiterhin auf sie gerichtet blieben, ihren Rücken und Hinterkopf fixierten. Gewiß sprachen sie jetzt über sie. Hatten sie schon einen Verdacht? Ahnten oder wußten sie gar, was Coralina getan hatte?
So ungern sie es sich eingestand … Jupiter hatte recht gehabt. Warum hatte sie noch einmal hierher zurückkehren müssen? Natürlich kannte sie die Antwort: Ihr gekränkter Stolz hatte sie hergetrieben, Wut über die Weigerung Landinis, sie in die Kirche zu lassen, und natürlich Zorn darüber, daß man sie wie eine Diebin behandelt hatte … obwohl doch keiner wissen konnte, daß sie tatsächlich eine war.
Kindisch, dachte sie. Kindisch und dumm. Du wirst wirklich noch alles vermasseln.
Coralina näherte sich der Südseite der Piazza. Sie entdeckte etwas, das sie stutzig machte.
Am Rande des Platzes kauerte eine gebeugte Gestalt und zeichnete mit kleinen Kreidestücken etwas auf den Asphalt. Es war ein alter Mann, älter noch als Kardinal von Thaden, sichtlich heruntergekommen. Seine ausgebleichte, schmutzige Kleidung erweckte den Anschein, als sei sie seit Wochen nicht mehr gewechselt worden; sein grauer Bart war lang und verfilzt. In einem merkwürdigen Gegensatz zu seiner abgerissenen Erscheinung wirkte der Mann in seiner Arbeit hochkonzentriert, beinahe verbissen, und die Art und Weise, wie er mit hektischer Hingabe seine Zeichnung vollendete, hatte fast etwas Wahnhaftes. Trotzdem konnte Coralina der Versuchung nicht widerstehen, einen Blick auf das Bild des Alten zu werfen.
Er hielt den Kopf beim Zeichnen weit vornübergebeugt, doch dann und wann hob er den Blick, um das Werk in seiner Gesamtheit zu betrachten. Während Coralina sich ihm näherte, kam ihr sein Gesicht mit einem Mal bekannt vor, so als habe sie ihn früher schon einmal getroffen, nur daß er damals noch anders ausgesehen hatte, nicht ganz so verdreckt und abgewrackt.
Natürlich, durchfuhr es sie, er trieb sich häufig vor dem Palazzo Montecitorio herum. Wie war noch sein Name? Christos? Christopher?
Cristoforo, richtig! Er war ihr zum ersten Mal vor ein paar Jahren aufgefallen, als sie in den Semesterferien nach Rom gekommen war, um für eine Hausarbeit über wiederkehrende Motive in den Bildern der römischen Straßenmaler zu recherchieren. Mit einem Bekannten, der sich ein wenig in der Szene auskannte, war sie durch die Straßen der Stadt gezogen. Er hatte ihr eine Reihe von Malern vorgestellt, meist Studenten wie sie, die sich dank der Münzen der Passanten über Wasser hielten. Mit Cristoforo hatte sie damals nicht gesprochen … er redete mit niemandem, hatte ihr Freund ihr versichert -, aber sie erinnerte sich
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