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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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keine Winterschuhe dabei hatte und das Hotel nicht verlassen konnte. Zum Zeitpunkt dieser Eröffnung hatte er sie bereits gut genug gekannt, um zu wissen, daß die Wahrheit irgendwo auf halber Strecke zwischen den beiden Extremen lag. Gut möglich, daß sie aus Langeweile mit ihm geschlafen hatte, eigentlich ein despektierlicher Grund; aber er war auch sicher, daß sie ihn mochte, liebte sogar, zumindest für eine Weile. Andere hatten versucht, ihm das auszureden … später, als alles vorüber war -, aber er glaubte noch heute daran, vielleicht, weil er daran glauben wollte.
    Miwa hatte ihn geliebt. Sein schlaksiges Äußeres, sein geschäftliches Unvermögen, sogar sein häufiges Zögern, das manche als Feigheit mißverstanden und das doch nur sein Versuch war, die Dinge rational zu betrachten. Sie hatte ihn geliebt, ohne jeden Zweifel … ihn und seine Kundenkartei.
    Und was die rationale Betrachtung der Dinge anging, so fragte er sich nun, warum er heute so gründlich damit abgeschlossen hatte, zumindest was Miwa betraf. Ihm war bewußt, daß er sie und die Zeit mit ihr glorifizierte … aber wozu sonst war die Erinnerung an eine verflossene Liebe gut, wenn nicht dazu, sie im Rückblick schönzureden? Er litt auch so genug, ohne sich all die kleinen und großen Katastrophen ihrer zwei Jahre miteinander vor Augen zu führen; es erschien ihm überflüssig, die Fäden zu einem größeren Ganzen zu verweben, das ihm vielleicht verdeutlicht hätte, wie umfassend Miwa ihn betrogen und ausgenutzt hatte.
    Und nun tauchte Coralina auf, keine fünfzehn mehr wie damals, und es verging keine Stunde, in der er sich nicht fragte, ob sie tatsächlich mit ihm flirtete oder ob das einfach ihre Art war und sie in Wahrheit in ihm nur den etwas unbeholfenen und manipulierbaren Geschäftsfreund ihrer Großmutter sah. Sein Gefühl sagte ihm, daß dem nicht so war, daß sie ihn tatsächlich mochte, immer noch oder wieder, auf eine reifere Art als damals. Aber was durfte er schon auf Gefühle geben, die ihn schon einmal derart übel getäuscht hatten? Das Gescheiteste war wohl, solche Anwandlungen gänzlich zu ignorieren.
    Beziehungskrüppel, dachte er in einem Anflug masochisti scher Selbsterkenntnis, und dabei hatte er bis vor kurzem geglaubt, daß dieses Wort nur auf den Hochglanzseiten der Frauenmagazine existierte, zwischen einem Dutzend holzig gewordener Parfümdüfte und den Werbeseiten der Modeindustrie. Sogar darin hatte er herumgeblättert, in den ersten Monaten nach Miwas Fortgang, auf der Suche nach einer Antwort auf die quälende Frage, wie Frauen dachten, wie sie fühlten und warum sie Männern wie ihm so etwas antaten. Irgendwann war er sich dabei so armselig vorgekommen, daß er einfach einen großen Stapel gekauft und ihn mit beinahe ritueller Geste in einen Papierkorb versenkt hatte. Danach war es ihm für ein paar Stunden bessergegangen, lange genug, um eine Bar zu finden und sich über den nächsten Anflug von Kummer hinwegzutrösten.
    Aber das war damals gewesen. Damals, vor einem Jahr -damals, vor einer Woche. Jetzt war er in Rom, auf dem besten Wege, ein Verbrecher zu werden, und, verdammt noch mal, er fühlte sich gut dabei. Vielleicht war das sogar das Bemerkenswerteste an seinem Dilemma.
    Am Morgen nach dem mißratenen Abendessen mit Cristoforo erwartete Coralina Jupiter unten im Laden und nahm ihn mit in eine nahe Bar, wo sie im Stehen süßes Gebäck aßen und bitteren Espresso tranken.
    »Ich hab nachgedacht über das, was du gesagt hast«, sagte sie und stellte ihre Tasse ab.
    »So?« Er hielt vergeblich nach einer Papierserviette Ausschau, um sich den klebrigen Zuckerguß von den Fingern zu wischen. Notgedrungen mußte die Innenseite seines Mantels herhalten.
    »Ich glaube immer noch, daß du Cristoforo falsch einschätzt«, sagte sie.
    Das wunderte ihn, ehrlich gesagt, nicht besonders.
    »Aber vielleicht bin ich auch zu unvorsichtig«, fuhr sie zu seinem Erstaunen fort. »Ich meine, du bist der Fachmann.«
    »Ich bin kein Hehler.«
    »Nein. Aber du weißt, wie man sich in solch einer Situation verhalten muß. Wem man trauen kann und wem nicht.«
    »Und was bedeutet das?«
    »Ich werde heute versuchen, mehr über dieses Haus des Daedalus herauszubekommen, von dem Cristoforo gesprochen hat. Vielleicht finde ich was im Internet.«
    Jupiter nickte nachdenklich. »Und Cristoforo?«
    »Ich weiß, wo er wohnt.«
    »Ich dachte, er sei obdachlos.«
    »Die meisten Obdachlosen haben irgendeinen Ort, an den sie sich

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