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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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zurückziehen. In Cristoforos Fall ist das die Ruine eines alten Palazzo, im Herzen von Trastevere.«
    Jupiter kannte das Viertel recht gut. Einst war es das Armeleutequartier Roms gewesen, um später, begünstigt durch einen längst vergessenen Hafen, einen Aufschwung zu erleben. Heute wurde es mehr und mehr zur schicken Wohngegend, in der ein paar Dutzend Nobelrestaurants um Gäste buhlten. Daß es sich dennoch seinen volkstümlichen Charakter bewahrt hatte, war eines der vielen kleinen Wunder Roms, wo sich das Weltstädtische immer wieder mit nostalgischer Beschaulichkeit mischte.
    »Ich wußte nicht, daß es in Trastevere überhaupt noch so was wie Ruinen gibt«, sagte er.
    »Nicht mehr viele«, entgegnete Coralina. »Aber bei ein paar Gebäuden sind die Besitzverhältnisse ungeklärt, und solange sich die Eigentümer nicht einigen können, wird es wohl noch dauern, bis daraus Hotels oder Edelapartments werden. Bis dahin hat Cristoforo ein Dach über dem Kopf.«
    »Gut, dann laß uns hinfahren.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich komme nicht mit.«
    »Wieso nicht?« »Wenn du versuchen willst, etwas aus Cristoforo herauszubekommen, dann ist das deine Sache. Ich will damit nichts zu tun haben.«
    »Was glaubst du, was ich mit ihm anstellen werde? Ihm die Fingernägel ziehen?«
    Sie wich seinem Blick aus. »Das ist deine Sache.«
    »Komm schon, Coralina, wofür hältst du mich?«
    »Tu, was du für richtig hältst. Aber ohne mich.«
    »Ich werde ihn nicht mal anfassen.«
    »Freut mich, das zu hören.« Sie wollte sich umdrehen und die Frühstücksbar verlassen, doch Jupiter packte sie blitzschnell am Handgelenk, nicht fest, aber doch bestimmt.
    »Hör mal«, sagte er, »du scheinst ein Bild von mir zu haben, das nicht ganz …«
    »Barcelona«, unterbrach sie ihn leise. »Vor anderthalb Jahren … Ich hab gestern abend noch mit der Shuvani gesprochen.«
    Er starrte sie entgeistert an. »Was, um Himmels willen, hat sie dir erzählt?«
    Natürlich kannte er die Antwort. Vielleicht war es ja unvermeidlich gewesen, daß Coralina davon erfuhr. Er fragte sich nur, weshalb die Shuvani ihr ausgerechnet jetzt, in einer solchen Lage, davon erzählt hatte.
    »Willst du von mir hören, was passiert ist?« fragte er.
    Sie zögerte, nickte dann langsam. »Okay.«
    Jupiter suchte einen Moment lang nach einem Einstieg in die Geschichte, fand keinen, der die Ereignisse beschönigen konnte, und fing dann mit dem Erstbesten an, das ihm einfiel. Natürlich mit Miwa.
    »Sie hatte mich damals gerade verlassen. Ich bin nie ein Trinker gewesen, und die Vorstellung, Kummer in Alkohol zu ersäufen, war bis dahin für mich ein Klischee aus alten Kriminalromanen, Sam Spade und Philip Marlowe, all das Zeug … du weißt schon. Als Miwa verschwunden war mit all meinen Unterlagen und Disketten und Festplatten, saß ich plötzlich da mit nur noch einem einzigen Auftrag. Und das auch nur, weil ich damals mitten in den Nachforschungen steckte und die wesentlichen Daten im Kopf hatte. Ich dachte, es wäre gut, mich abzulenken … zumindest ist es ja das, was einem alle sagen -, und so flog ich nach Barcelona, traf mich dort mit ein paar Leuten an der Hotelbar, ließ mich von ihnen betrunken machen und mir einen gehörigen Bären aufbinden. Ich war auf der Suche nach einer dieser stilisierten Frauenfiguren aus Ton, einer Darstellung der großen Göttin, die immer auf den Titelbildern all dieser Matriarchatsbücher auftaucht. Breite Hüften, große Brüste und kein Gesicht.« Er schüttelte den Kopf. »Ich meine, hast du dir je überlegt, warum eine Frau so was anbeten sollte? Die Emanzipationsbewegung hat uns Männern immer vorgeworfen, euch als Sexualobjekte zu mißbrauchen … und was drucken die selbst auf ihre Bücher und Briefköpfe? Das Bild einer Frau ohne Gesicht, nur Geschlecht, nur Gebärmaschine.« Er lächelte bitter. »Eines der großen Paradoxa unsere Zeit, nicht wahr?«
    Coralina schmunzelte und kramte einen Bon für zwei weitere Tassen Kaffee aus ihrem Portemonnaie.
    Er atmete tief durch und fuhr fort: »Ich hatte zwei Monate gebraucht, um den Kontakt für dieses Treffen an der Hotelbar herzustellen, und glaub mir, ich wollte glauben, was sie mir erzählten. Sie erkannten natürlich schnell, in was für einer Verfassung ich war. Ich war noch nie ein besonders guter Schauspieler, und an dem Abend wahrscheinlich noch drei Stufen unter meinem üblichen Niveau. Kurz gesagt, sie flößten mir solche Mengen Wodka und Whiskey ein, daß ich

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