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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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diese Gewißheit gab. Doch das Auftauchen des sonderbaren Künstlers mochte ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Lösung des Rätsels sein.
    Er folgte Coralina und Cristoforo ins Erdgeschoß und sah gerade noch, wie der Alte durch die Ladentür ins Freie trat. Coralina sagte etwas zu ihm, ohne daß er antwortete. Sie wollte die Tür hinter ihm abschließen, als Jupiter neben sie trat und ihre Hand mit dem Schlüssel festhielt.
    »Warte! Wir können ihn nicht einfach gehen lassen.«
    »Ach nein? Was willst du denn tun?« Sie sah ihn mit großen Augen an, ehe sich ein feines Lächeln auf ihre Lippen stahl. »Die Wahrheit aus ihm herausprügeln?«
    Jupiter wußte keine Antwort darauf, und das ärgerte ihn. Er wollte an ihr vorbei auf die Straße, doch sie hielt ihn zurück. Ihre Finger schlossen sich so fest um seinen Oberarm, daß es weh tat. Er war überrascht, wie kräftig sie war.
    »Laß ihn«, sagte sie. »Er wird dir nichts sagen.«
    »Warum hast du ihn dann hergebracht?«
    »Ich hatte gehofft, die Umgebung würde ihn vielleicht umstimmen. Aber das hat sie nicht. Das müssen wir akzeptieren. Alle drei.«
    Jupiter schaute durch das schmale Ladenfenster hinaus auf die Gasse. Cristoforo bog um die Ecke zur Via del Governo Vecchio und verschwand. »Aber er geht!« sagte er beharrlich. »Wir werden ihn in der Stadt nicht mehr wiederfinden!« Seine Hilflosigkeit machte ihn wütender als ihre sanftmütige Sturheit.
    »Er wird uns finden, wenn er es für nötig hält.«
    »Ja, ja, das hört sich gut an, und mir wird gleich ganz warm ums Herz. Aber wie wär’s, wenn wir zur Abwechslung mal realistisch bleiben? Dieser Mann weiß etwas, das wir wissen sollten. Falls diese Platte schon früher aufgetaucht ist, falls sie bekannt ist, und wenn auch nur einem kleinen Kreis von Leuten, dann wird irgendwer sich fragen, warum sie nicht bei den übrigen sechzehn in der Kirche war.
    Irgendwer wird die richtigen Fragen stellen und damit früher oder später vor dieser Tür landen. Und was willst du dann sagen? Daß du die Platte nur ausgeliehen hast, um ein paar Abzüge zu machen?«
    »Was das angeht, magst du recht haben«, erwiderte sie, aber es klang keineswegs defensiv. »Trotzdem wirst du aus Cristoforo nichts herausbekommen, genausowenig wie irgendein anderer.« Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür und sah ihn eindringlich an.
    »Das ist der Unterschied zwischen dir und mir, Jupiter. Du hast dich immer nur um die Kunst gekümmert, aber nie um die Menschen dahinter.«
    »Und du hast dich in den letzten zehn Jahren zur großen Menschenkennerin entwickelt, ja?«
    »Nein«, entgegnete sie fest, »das war ich schon damals. Deshalb bin ich ja in jener Nacht zu dir gekommen. Ich wußte, was du wolltest. Nur du hast es dir selbst nicht eingestanden.«
    Er starrte sie mit offenem Mund an wie ein Schüler, der gerade von seiner Lehrerin zurechtgewiesen worden ist.
    Coralina löste sich von der Tür, machte einen tänzelnden Schritt um ihn herum und ging zwischen den Bücherregalen Richtung Treppe.
    »Laß Cristoforo in Frieden«, sagte sie, ohne sich umzudrehen.
    »Schlimm genug, daß ich ihn hierhergebracht habe. Das war ein Fehler … aber darin hab ich ja mittlerweile Erfahrung, nicht wahr?«
    Jupiter folgte ihr mit Blicken, als sie nach oben stieg, sah dann hinaus auf die leere Gasse, schaute wieder zur Treppe und horchte auf das zarte Geräusch ihrer Schritte auf den hölzernen Stufen.
    Er hatte Miwa auf einer Auktion kennengelernt, in Reykjavik, während Island um sie herum unter einer meterdicken Schneedecke lag. Sie, die bezaubernde Japanerin, die zwei Jahre jünger war als er, aber zehn Jahre jünger aussah … das machte sie, zumindest optisch, so alt wie Coralina, dachte er heute, und ihm wurde ein wenig schwindelig dabei -, und er, der viel zu vertrauensselige Kunstjäger, bei weitem noch nicht so lange im Geschäft wie die meisten seiner Konkurrenten und doch mit einer beachtlichen Erfolgsquote. Miwa war durchtrieben und berechnend, das hatte er gleich am ersten Abend erkannt, als sie versuchte, mehr über seine Fortschritte auf der Suche nach einem gewissen Objekt aus Brüssel zu erfahren. Erst hatte er geglaubt, sie sei nur mit ihm aufs Zimmer gegangen, um ihn auszuhorchen, doch dann hatte sie in der ganzen Nacht kein Wort darüber verloren, keine einzige Frage gestellt. Er hatte das als Kompliment aufgefaßt, bis sie ihm später, scheinbar beiläufig, erzählte, sie sei nur mit ihm ins Bett gegangen, weil sie

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