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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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beschloß, der Adresse, die sie mir gaben, noch am selben Abend einen Besuch abzustatten. Dort sollte die Frau wohnen, in deren Auftrag die Statue meines Kunden gestohlen worden war.«
    Er verstummte kurz und beobachtete Coralinas Gesichtszüge, versuchte herauszufinden, was sie von ihm erwartete. Eine Entschuldigung? Eine kleine Verdrehung der Tatsachen, damit es ihr leichterfiel, wieder Vertrauen zu ihm zu fassen?
    Jupiter entschied sich statt dessen für die Wahrheit.
    »Die Frau öffnete mir die Tür. Sie war nicht mehr jung, Anfang Fünfzig vielleicht. Eine reiche und skrupellose Kunsthändlerin der üblen Sorte, hatte man mir erzählt, und ich war viel zu betrunken, um irgend etwas zu hinterfragen. Später erfuhr ich dann, daß sie die Witwe eines taiwanesischen Reeders war, ohne jedes Interesse an Kunst. An diesem Abend aber, vor dieser Tür, sturzbetrunken wie ich war und todunglücklich vor Kummer um Miwa, sah ich in ihr nur das, was ich sehen wollte, meine Gegnerin im Kampf um diese verdammte Statue. Die Leute haben später behauptet, weil sie eine Asiatin war, hätte ich Miwa in ihr gesehen und sie deshalb krankenhausreif geschlagen. Aber das ist nicht wahr. Wenn ich Miwa in dieser Tür hätte stehen sehen, wäre ich wahrscheinlich vor ihr auf die Knie gefallen und hätte mich endgültig vor aller Welt zum Narren gemacht. Aber genau das Gegenteil war der Fall. Alles, was ich dachte, war, daß ich dieser Frau nur die Statue abnehmen, sie zu ihrem Besitzer zurückbringen und eine anständige Summe kassieren mußte, die es mir erlauben würde, mein Büro neu auszustatten und vielleicht wieder von vorne zu beginnen … quasi die Stunde Null nach Miwa einzuläuten. Ich war betrunken wie selten zuvor in meinem Leben, aber ich kann nicht behaupten, daß ich nicht zurechnungsfähig war. Irgendwo tief drinnen wußte ich ganz genau, was ich tat, und in jenem Augenblick war es genau das, was ich wollte. Ich hab sie windelweich geprügelt, als sie behauptete, sie wisse gar nicht, was ich von ihr wolle, und als schließlich die Polizei kam und mich festnahm, hab ich noch immer gedacht, daß sie mich anlügt. Bis ich gesehen habe, daß der zuständige Kommissar einer der Männer aus der Hotelbar war. Er sorgte dafür, daß das Verfahren eingestellt und ich ins nächste Flugzeug gesetzt wurde. Er hatte erreicht, was er wollte … die Statue blieb bei seinen Hintermännern, und ich war endgültig geliefert. Gründlicher als ich selbst hätte niemand meine Reputation auslöschen können. Miwa hat dann im nachhinein das Ihrige dazu beigetragen, die Geschichte publik zu machen.«
    Coralina trank aus. »Warte!«
    Er schaute ihr nach, als sie mit den Bons zur Theke ging und bald darauf mit zwei dampfenden Kaffeetassen zurückkam.
    »War das die Geschichte, die die Shuvani dir erzählt hat?« fragte er.
    »Ihre Version war die Reader’s-Digest-Fassung.« Coralina knetete sich nachdenklich mit Daumen und Zeigefinger die Unterlippe.
    »Kürzer, und ein wenig mehr aufs Wesentliche konzentriert. Dafür mit ein paar farbenfrohen Illustrationen der Höhepunkte.«
    Nachdem er an seinem Kaffee genippt und sich die Zungenspitze verbrannt hatte, sagte er: »Ich weiß, daß meine Sicht der Dinge das Ganze nicht schöner macht. Ich hab diese Frau verprügelt, daran kann ich nichts mehr ändern.« »Nein.« Sie trank ihre Tasse in einem Zug leer; es schien sie nicht zu stören, daß der Kaffee nahezu kochend heiß war. Dann beugte sie sich vor und gab ihm mit Lippen, die zu glühen schienen, einen flüchtigen Kuß auf die Wange. »Aber es ist okay«, sagte sie. »Irgendwie ist es okay.«
    »Eine Frau zu schlagen?«
    »Auf diese Kerle hereinzufallen. Der Dumme zu sein.« Sie lächelte spitz. »Das … paßt zu dir. Irgendwie.«
    »Charmant.«
    Sie kicherte. »Haben wir das denn noch nötig? Uns gegenseitig unseren Charme zu beweisen?«
    Wieder verstand er nicht auf Anhieb, was sie meinte, und wieder ließ sie ihn stehen.
    »Ich kümmere mich um dieses Haus des Daedalus«, sagte sie, während sie ihm mit feiner Handschrift eine Adresse auf einen Kassenbon schrieb.
    »Viel Glück mit Cristoforo«, sagte sie im Hinausgehen. Zurück blieb ein dezenter Hauch ihres Parfüms.
    Als Jupiter den Kaffee austrank, verbrannte er sich die Zunge ein zweites Mal.
    Hinter ihnen ertönte eine Hupe, als das Taxi abrupt vor einer Gassenmündung hielt, zu schmal, als daß ein Auto hineingepaßt hätte. In Trastevere und anderen sehr alten Stadtteilen Roms gab

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