Das Haus des Daedalus
nicht gefiel. Die Einladung des seltsamen Kauzes war also Coralinas Idee gewesen.
»Wir haben Besuch«, sagte die Shuvani eisig.
»Und mit wem haben wir die Ehre?«
Der alte Mann blickte noch immer nicht auf. Statt dessen legte er eine dritte prallgefüllte Paprikaschote auf seinen Teller und machte sich gleich darüber her.
»Sein Name ist Cristoforo«, sagte Coralina. »Er ist Maler.«
»Brotlose Kunst, hm?«
Sie hob mißbilligend eine Augenbraue. »Wenn du gesehen hättest, was er gemalt hat, würdest du sparsamer mit deinem Zynismus umgehen.«
Jupiter ging auf den Alten zu. Er streckte ihm die Hand entgegen, ohne Hoffnung auf eine Reaktion des Malers. Doch zu seinem Erstaunen ließ Cristoforo kurz von seinem Festmahl ab, schüttelte Jupiters Hand, ohne ihm ins Gesicht zu blicken, und aß dann hastig weiter.
»Jupiter«, sagte Jupiter.
»Es ist immer Nacht«, sagte Cristoforo, »im Haus des Daedalus.«
Jupiter blickte erstaunt zu Coralina hinüber, die verständnislos mit den Achseln zuckte. »Er hat das jetzt schon zum dritten Mal gesagt. Immer nur diesen einen Satz.«
»Sonst nichts«, ergänzte die Shuvani. »Nicht mal ein Dankeschön.«
Mißbilligend beobachtete sie Cristoforo beim Essen und rechnete vermutlich gerade aus, was sie die Verköstigung des zotteligen Alten kosten würde.
Es ist immer Nacht im Haus des Daedalus.
Jupiter ging neben dem Maler in die Hocke. »Wie haben Sie das gemeint?«
Cristoforo beachtete ihn nicht.
»Das hat keinen Sinn«, sagte Coralina, setzte sich auf ihren Platz am Tisch und nahm sich eine Paprikaschote. Jupiter wunderte sich, daß sie essen konnte, während der Alte schmatzend und übelriechend mit ihr am Tisch saß. Ihm selbst zumindest war der Appetit vergangen.
»Okay«, sagte er, »dann erklärt ihr es mir. Was macht er hier?«
»Coralina hat ihn gefunden«, knurrte die Shuvani.
»Großmutter!« wies ihre Enkelin sie empört zurecht. »Du redest über ihn, als wäre er ein verlorengegangener Regenschirm.«
»Der hätte zumindest keinen Hunger. Und ließe sich in Null Komma nichts mit einem feuchten Tuch sauber wischen.«
Jupiter betrachtete die Hände des Malers. Unter seinen Nägeln klebte bunter Kreidestaub, winzige Regenbögen an den Enden erstaunlich langer, schlanker Finger.
»Ich bin noch einmal zur Kirche gegangen«, begann Coralina, und dann erzählte sie ihm alles, was geschehen war. Von Landini und Kardinal von Thaden, von der überstürzten Flucht mit Cristoforo … und von dem Bild, das der Maler auf den Asphalt gezeichnet hatte.
»Und du bist ganz sicher, daß es dasselbe Motiv war?« fragte Jupiter.
»Ohne jeden Zweifel.«
Cristoforo aß unbeeindruckt weiter. Falls er dem Gespräch überhaupt folgte, ließ er es sich nicht anmerken. Amüsierte er sich heimlich über seine Gastgeber? Was wußte er tatsächlich über das Motiv?
»Cristoforo«, sprach Jupiter ihn an. »Sie müssen uns sagen, wo Sie dieses Bild gesehen haben.«
Der Maler reagierte nicht.
»Genau das versuchen wir jetzt seit einer knappen Stunde«, sagte Coralina und schob die Hälfte ihrer Paprika ungegessen beiseite.
»Das hat keinen Zweck.«
Als hätte ihr letzter Satz ein geheimes Stichwort enthalten, schob Cristoforo seinen Stuhl zurück und stand auf. Einen Augenblick lang blickte er benommen auf den Tisch, dann von einem zum anderen.
»Es ist immer Nacht im Haus des Daedalus«, sagte er noch einmal. Sonst nichts, keinen Dank, kein Wort des Abschieds. Er ging um Coralina herum und zur Tür hinaus.
Jupiter fluchte, wollte aufspringen, aber Coralina hielt ihn mit einer Geste zurück.
»Nein«, sagte sie bestimmt. »Nicht so. Wir können ihn nicht mit Gewalt festhalten.«
Jupiter schüttelte gereizt den Kopf. »Wer spricht denn von Gewalt? Aber wir können ihn nicht einfach laufenlassen!«
»Wieso nicht?«, wollte die Shuvani wissen. »Er ist verrückt. Er kann uns nicht gefährlich werden.«
»Offenbar begreifst du noch immer nicht«, gab Jupiter scharf zurück. »Er weiß etwas über diesen Kupferstich. Mehr als wir auf jeden Fall.«
Die Shuvani nickte bedächtig. »So ist es, Jupiter. Aber wir wollen das Ding verkaufen, keine Doktorarbeit darüber schreiben.«
Während er noch erwog, mit der Shuvani zu streiten, folgte Coralina dem Maler die Treppe hinunter. Jupiter gefiel nicht, wie leicht die alte Frau das Ganze nahm. Es ging um mehr als den illegalen Verkauf eines Kunstwerks … wenngleich er noch nicht zu sagen vermochte, was genau es war, das ihm
Weitere Kostenlose Bücher