Das Haus des Daedalus
ihrem Leben führten.
Nun also kreuzten sich ihre Wege erneut, nach so vielen Jahren ohne eine einzige Begegnung. Doch sogar heute kam er nicht selbst zu ihr, sondern schickte seine Männer, die vor ihrem Haus die Lichter löschten und gewiß nicht nur hier waren, um seine Grüße zu übermitteln.
Das Telefon klingelte.
Die Shuvani fuhr derart erschrocken herum, daß sie mit dem Ellbogen einen Bücherstapel vom Regal warf. Polternd fielen die Bände auf den Boden und blieben mit aufgeschlagenen Seiten liegen. Aus dem obersten grinste ihr eine schwarzweiße Fratze entgegen, wie die Grimasse eines Kastenteufels.
Um zum Telefon neben der Kasse zu gelangen, mußte sie den vorderen Teil des Ladens durchqueren. Damit aber hätte sie sich geradewegs in das Sichtfeld der Männer begeben, die sich irgendwo draußen vor dem Schaufenster aufhalten mußten. So leichtsinnig war sie nicht.
Statt dessen eilte sie im Schutz der Regale wieder die Treppe hinauf. Ein zweiter Apparat befand sich oben im Wohnzimmer. Wenn sie sich beeilte, dann, vielleicht …
Das Klingeln erstarb, als sie schnaufend den zweiten Stock erreichte. Sie eilte dennoch zum Telefon und riß den Hörer herunter. Nur das Freizeichen. Der Anrufer hatte aufgelegt.
Coralina, dachte sie verzweifelt und legte mit bebender Hand den Hörer auf, wenn du das warst, dann versuch es noch mal. Bitte!
Unten im Laden ertönte ein Scheppern. Glassplitter hagelten klirrend auf den Boden.
Domovoi Trojans Gesicht ging in ihren Gedanken auf wie der Mond am Nachthimmel, schmallippig, verzerrt, ein Liebhaber aus einem Alptraum.
Das wagst du nicht, dachte sie und legte all ihre Wut in diesen einen Gedanken. Das … wagst - du … nicht!
Sie eilte zur Treppe und horchte auf Schritte, hörte aber keine.
Gerade hatte sie beschlossen, zurück zum Telefon zu gehen und die Notrufnummer eins-eins-drei zu wählen, als es abermals zu läuten begann.
Einen Augenblick lang war sie vor Schreck und Anspannung stocksteif, dann hastete sie rasch zurück ins Wohnzimmer. Nach dem dritten Klingeln riß sie den Hörer herunter.
»Coralina?« rief sie gehetzt in die Muschel. »Sie sind hier. Sie …«
Das Telefon war tot. Am anderen Ende war nur Stille. Kein Atmen, kein Rauschen. Nur absolutes Schweigen.
Fassungslos starrte sie den Hörer an. Sie hieb auf die Gabel, horchte erneut. Stille.
Ihr Blick folgte dem Kabel bis zur Steckdose in der Wand, und da begriff sie. Die Leitungen verliefen in dem alten Haus nicht durch Kabelschächte in den Mauern; sie führten an der Wand des Treppenhauses hinab, unter der Decke des Ladens entlang hinaus auf die Straße. Jemand, der sich auskannte, mußte das auf einen Blick erkennen. Es war ein Leichtes, die Leitung mit einem schnellen Schnitt zu durchtrennen.
Sie ließ den nutzlos gewordenen Hörer fallen. Sie mochte groß und schwer sein, aber sie war keine hilflose alte Frau. Statt sich irgendwo zu verkriechen, eilte sie zur Treppe und polterte so schnell sie konnte die Stufen hinunter. Durch die Tür zum ersten Stock sah sie Kisten und Mappenstapel, in denen sie okkulte Kunst aufbewahrte, dazwischen weitere Bücherberge, so hoch wie Termitenbauten.
Sie hatte gerade den Treppenabsatz erreicht, als sie hörte, daß ihr von unten jemand entgegenkam. Langsam, nicht eilig, mit gemächlichen Schritten, die alle Selbstsicherheit der Welt verrieten. Dann sah sie Bewegung in der Dunkelheit, erkannte Umrisse, die Form eines Menschen, dann noch einen, und einen dritten.
Sie verließ das Treppenhaus und zog sich zurück in den ersten Stock. Sie kannte hier jeden Quadratzentimeter, wußte, wo in der Dunkelheit Stolperfallen drohten, wo Bücher lagen, wo sich das Kabel einer Stehlampe in Knöchelhöhe zwischen den Regalen spannte. All dem ging sie geschickt aus dem Weg.
Hätte sie mit den Männern sprechen sollen? Versuchen, zu verhandeln? Alles vergeblich, dachte sie.
Sie lief zum einzigen Fenster. Es wies hinaus auf die Gasse. Unweit davon befand sich der Glasschirm der erloschenen Straßenlaterne. Sie sah ihn vor sich im Nichts schweben wie eine Urne, randvoll mit Schwärze, mit Asche gefüllt.
Mit hastigen Bewegungen riß sie das Fenster auf und kletterte ächzend auf den Rahmen.
Hinter ihr verharrte die Finsternis, verharrten die Gestalten. Sie glaubte, eine Stimme zu hören, die etwas sagte, etwas darüber, daß man ihr nichts tun wolle, daß man nur das Haus durchsuchen, ihr ein paar Fragen stellen werde.
Domovoi, dachte sie traurig, als sie sich
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