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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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abstieß, warum bist du nicht selbst gekommen?
    Sie fiel ins Leere, vorbei am Mast der Laterne.
    Warum nicht du selbst?
    Alles tat weh, der Aufprall, der Gedanke an Domovoi.
    . .. nicht …
    Die Schmerzen.
    … du selbst …

KAPITEL 8
    Mater Ecclesiae
    »Warum geht sie nicht ran?« Coralina bebte am ganzen Leib. Jupiter mußte ihr den Hörer aus der Hand nehmen, aus leichenstarren Fingern, weiß und kalt, mit spitzen Knöcheln.
    »Vielleicht schläft sie. Oder liegt in der Badewanne.«
    Er bereute die Worte, noch während er sie aussprach.
    »Behandle mich nicht wie ein dummes Kind!« brüllte sie ihn an. Janus schüttelte den Kopf und massierte sich verlegen die Augenlider.
    »Tut mir leid«, sagte Jupiter sanft. »Laß uns nicht …«
    »Er hat gelogen!« Anklagend zeigte sie auf Janus. »Der Mistkerl hat uns angelogen! Sie werden sie umbringen. Vielleicht haben sie es schon getan. Sie werden …«
    Janus bewegte sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit auf sie zu und baute sich mit gerunzelter Stirn vor ihr auf. Es gelang ihm, imposant zu wirken, obwohl er kleiner war als sie.
    »Ich habe nicht gelogen … nicht, als ich sagte, Estacado werde Ihrer Großmutter kein Haar krümmen, und nicht, als ich Sie gewarnt habe, daß unsere Gegner bald hier sein werden. Wir haben keine Zeit mehr. Wenn wir in Sicherheit sind, können Sie von mir aus noch einmal versuchen, zu Hause anzurufen. Aber jetzt kommen Sie mit, verflucht noch mal!«
    Und damit drehte er sich um und eilte zur Tür des Aufenthaltsraums.
    »Komm schon«, sagte Jupiter leise zu Coralina. »Mir gefällt das alles auch nicht. Trotzdem glaube ich, daß er recht hat. Irgendwer wird demnächst hier auftauchen, und dann möchte ich nicht mehr hier sein.«
    »Wenn ihr etwas zugestoßen ist …« Sie brach ab, nahm sich sichtlich zusammen und nickte schließlich. »Okay. Gehen wir mit ihm.«
    Sie wollte an Jupiter vorbeigehen, doch er hielt sie an den Schultern fest, zögerte eine Sekunde, dann küßte er sie auf die Lippen. Nicht lange, und nicht besonders leidenschaftlich. Aber er küßte sie, und obwohl es der denkbar ungünstigste Augenblick war, schaute sie ihn aus großen Augen an und brachte sogar ein zaghaftes Lächeln zustande.
    »Das soll mich doch nicht etwa beruhigen, oder?«
    Er öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, als hinter ihnen Janus’ Stimme ertönte, aufgebracht und äußerst ungeduldig. »Würden Sie mir jetzt bitte folgen!«
    Jupiter ergriff Coralinas Hand, und gemeinsam liefen sie mit Janus hinaus in die Gerätehalle. Sie eilten zum offenen Tor und zwängten sich durch den Spalt ins Freie.
    Janus führte sie über Schleichwege hinter Heckenreihen und Buschwerk durch die nächtlichen Gartenanlagen des Vatikans. Immer wieder schaute er sich angespannt um, und einmal gab er ihnen mit einem stummen Wink zu verstehen, hinter einem dichten Gebüsch in Deckung zu gehen. Sekunden später marschierten mehrere Gestalten an ihnen vorüber, Männer der Schweizergarde; mit ihren Hellebarden erinnerten sie Jupiter auf absurde Weise an die Soldaten der Herzkönigin in Alice im Wunderland. Ob sie auf der Suche nach ihnen waren, wußten weder er noch Coralina mit Gewißheit, doch Janus’ besorgter Gesichtsausdruck ließ keinen anderen Schluß zu.
    Hinter Bäumen erkannte Jupiter zu ihrer Linken einen verschachtelten Gebäudekomplex. »Die päpstliche Akademie«, flüsterte Coralina. Beide hatten erst die Vermutung, Janus werde sie dorthin führen, doch dann bog er abrupt nach rechts ein und folgte einem Weg zwischen eng stehenden Bäumen in westliche Richtung. Noch einmal sahen sie aus der Ferne eine Gruppe von Gardisten, die sich in entgegengesetzter Richtung bewegte.
    Wasserrauschen verriet ihnen, daß sie sich einem großen Brunnen näherten. Augenblicke später sahen sie ihn: ein dunkler Teich, umfaßt von einem Halbrund künstlicher Felsen. Aus den Rachen steinerner Fabelwesen sprudelte Wasser, bewacht von der Statue eines mächtigen Adlers.
    Hinter dem Brunnen erhob sich ein weiteres Gebäude, dreistöckig, kastenförmig, mit einem flachen Dach. Dunkelrote Holzläden verschlossen die Fenster. Janus führte sie durch einen Hintereingang ins Innere und verriegelte die Tür mit einem schweren Stahlriegel.
    »Wo sind wir hier?« wollte Jupiter wissen.
    »Im Monastero Mater Ecclesiae«, entgegnete Janus, »dem einzigen Nonnenkloster des Vatikans. Es steht ziemlich genau im Zentrum der Gärten … man könnte es als Herz des Vatikans bezeichnen, in jeder

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