Das Haus des Daedalus
wußte, was sie meinte, und versuchte ernsthaft, in sein Inneres zu horchen, auf alle Spuren von Miwa, die noch immer da waren, ganz unbestritten, und die doch mit jedem Tag an Coralinas Seite blasser wurden.
Gerade wollte er ihr erklären, was in ihm vorging, als Janus zur Tür hereinstürmte.
»Es gibt Neuigkeiten«, sagte er. Er hatte ein Handy dabei. »Es ist etwas … passiert.«
Coralina ließ Jupiters Hand los und sprang auf. »Was haben die mit ihr gemacht?«
Janus blieb vor ihr stehen und fuchtelte nervös mit dem Telefon.
Es war unübersehbar, wie unangenehm ihm diese Unterredung war.
»Nichts, so wie es aussieht. Sie sagt, sie sei aus dem Fenster gefallen.«
»Aus dem Fenster?« Coralina starrte ihn an, als wollte sie ihm im nächsten Moment an die Kehle gehen.
»Sie können sie anrufen.« Er reichte ihr das Telefon und einen Zettel mit einer handgeschriebenen Telefonnummer. »Sie liegt im Krankenhaus. Das ist die Nummer ihres Apparats.«
»Wie geht es ihr?« fragte Jupiter.
»Sie hat ein paar Prellungen, aber offenbar keine Brüche. Der Arzt, mit dem ich gesprochen habe, meinte allerdings, man müsse noch die genauen Untersuchungen abwarten.« Er zögerte kurz. »Sie war sehr aufgeregt, als man sie eingeliefert hat. Offenbar haben die Ärzte Probleme, ihren Blutdruck zu senken. Das Ganze kann nicht länger her sein als eine Stunde.«
Coralina tippte die Nummer ein und drückte die Verbindungstaste. Nach einem Moment hellte sich ihre Miene ein wenig auf.
»Großmutter? Gott sei Dank! Was ist passiert?«
Jupiter beobachtete sie, während sie der Shuvani zuhörte. Er konnte nicht verstehen, was die alte Frau sagte.
»Jemand ist ins Haus eingebrochen«, faßte Coralina den Wortschwall ihrer Großmutter für Jupiter zusammen und versuchte zugleich, ihr weiterhin zuzuhören. »Sie ist aus dem Fenster gesprungen … Sie sagt, sie habe ihren Anker in der Welt verloren.«
Jupiter und Janus wechselten einen Blick. Der Geistliche zuckte die Achseln.
»Was sagt die Polizei?« fragte Coralina.
Während die Shuvani antwortete, verdrehte Coralina aufgebracht die Augen. »Was soll das heißen, du hast niemandem davon erzählt?«
Jupiter schaute sie fragend an, bis Coralina sagte: »Sie hat Angst um uns gehabt, sagt sie. Sie meint, wenn sie der Polizei etwas erzählt halte, hätten die angefangen nachzuforschen und vielleicht rausgefunden, daß wir die Platte gestohlen haben.«
Janus rümpfte die Nase. »Klingt vernünftig.«
Coralina hörte der Shuvani noch eine Weile zu, dann reichte sie das Handy widerstrebend an Jupiter weiter. »Sie will mit dir reden.«
»Mit mir?« Er nahm es entgegen und hielt es ans Ohr. »Wie geht es dir?«
»Ganz hervorragend«, erklang die Stimme der Shuvani an seinem Ohr, leicht verzerrt und von Rauschen durchdrungen. »Wie geht es euch?«
Jupiter berichtete ihr von Estacados Lüge und daß sie vor ihm auf der Flucht waren. Er erwähnte weder, wo sie sich versteckten, noch wer ihnen half … er fürchtete, daß von Thadens Leute das Gespräch abhören könnten.
»Ich muß dir etwas gestehen«, sagte die Shuvani. »Hast du den Lederbeutel noch?«
Jupiters Hand fuhr instinktiv an die Delle in seiner Manteltasche.
»Sicher.«
»Die Scherbe ist nicht mehr darin«, sagte sie.
Ein, zwei Herzschläge lang erstarrte er, bis seine Fingerspitzen durch den Stoff des Mantels und das Leder die unregelmäßige Form des Tonbruchstücks ertasteten. »Wie meinst du das?«
Die Shuvani atmete schwer ein und aus. »Ich habe sie ausgetauscht«, sagte sie, »vorgestern abend, als du in der Badewanne gelegen hast.«
»Du hast was?«
Sie schwieg einen Augenblick, dann sagte sie es noch einmal. »Ich habe die Tonscherbe in dem Lederbeutel ausgetauscht … gegen ein Stück von einem zerbrochenen Suppenteller. Ich wollte nicht, daß du sie diesem Babio verkaufst.« Sie machte eine Pause, ehe sie hinzufügte: »Es tut mir leid.«
Jupiter versuchte, gefaßt zu bleiben, aber in ihm stieg Panik auf. Seit sie die Kupferplatte nicht mehr besaßen, war die Scherbe ihr einziges Unterpfand gegen Estacado gewesen. Falls nun auch noch die Scherbe fort war …
»Wo ist sie jetzt?« fragte er leise und wandte sich von Coralina und Janus ab, damit sie die Wahrheit nicht von seinem Gesicht ablesen konnten.
»Hier bei mir im Krankenhaus. Ich hab sie bei mir getragen, als ich aus dem Fenster … gefallen bin.«
»Versteck sie … und sag nicht, wo. Es kann sein, daß die Leitung abgehört wird.« Er
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