Das Haus des Daedalus
schaute zu Janus.
»Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich«, sagte der Geistliche.
Jupiter redete weiter auf die Shuvani ein. »Möglicherweise weiß Estacado jetzt Bescheid. Wichtig ist, daß du ruhig bleibst. Frag die Ärzte, ob sie dich in ein anderes Zimmer verlegen können. Kannst du das tun?«
»Sicher.« »Okay.« Jupiter wich Coralinas forderndem Blick aus. »Wir melden uns wieder bei dir.«
»Viel Glück«, sagte die Shuvani. »Und, Jupiter … es tut mir wirklich leid. Sag das auch Coralina.«
»Mach ich.«
Die Shuvani trennte die Verbindung.
»Was ist los?« Coralinas Sorge, eben erst einigermaßen besänftigt, loderte auf wie eine Stichflamme.
Er gab keine Antwort, drückte statt dessen Janus das Handy in die Hand, zog den Lederbeutel hervor und schüttelte seinen Inhalt auf den Tisch.
»Was soll das?« fragte Coralina, als sie sah, was zum Vorschein kam.
Es war ein Stück von einem violetten Porzellanteller, so groß wie die Tonscherbe aus Piranesis Geheimkammer.
Jupiter wischte das Bruchstück wütend vom Tisch. Es schepperte mit einem hellen Laut auf den Boden.
»Jupiter«, sagte Coralina beschwörend und zog ihn mit beiden Händen an sich. »Was, verdammt noch mal, hat das zu bedeuten?«
Er holte tief Luft, dann erklärte er es ihr. Janus hörte schweigend zu.
Die Shuvani legte den Hörer auf und atmete tief durch. Seit ihrer Ankunft im Krankenhaus hatte sie zweimal hyperventiliert, und sie wollte nicht, daß es ein drittes Mal geschah.
Jupiter hatte recht. Als erstes mußte sie in ein anderes Zimmer verlegt werden. Besser noch in ein anderes Krankenhaus. Aber mit welcher Begründung?
Sie hätte gerne einen Blick aus dem Fenster geworfen, auch wenn es draußen dunkel war. Irgendwer hatte jedoch die grauen Vorhänge zugezogen. Manchmal, nachts auf ihrer Dachterrasse, hatte sie über das Lichtermeer der Stadt geschaut, funkelnd wie ein Stück Sternenhimmel, das sich über die Hügel des alten Latium legte. In solchen Augenblicken hatte sie den Atem der Historie spüren können, der zwischen den alten Bauten und Straßen emporstieg, spüren können wie etwas Physisches, das sich um ihr Gemüt legte und die Dinge ins richtige Verhältnis rückte. Probleme, egal welcher Art, wurden mit einemmal sehr klein und unbedeutend angesichts dessen, was diese Stadt in ihrer mehr als zweieinhalbtausendjährigen Geschichte durchgemacht hatte. Große und kleine Katastrophen hatten Rom heimgesucht, Häuser und Türme geschliffen, aber letztlich hatten sie nichts daran ändern können, daß die Stadt noch immer majestätisch auf ihren Hügeln ruhte. Dieser Gedanke, fand die Shuvani, hatte etwas sehr Beruhigendes.
Sie streckte die Hand nach dem Rufknopf für das Schwesternzimmer aus, zögerte aber, ihn zu benutzen. Sie lag in einem Einzelzimmer, das sie niemals würde bezahlen können. Keiner hatte sie bei der Einlieferung nach ihrer Versicherung gefragt. Sie war zum letzten Mal in einem Krankenhaus gewesen, als man ihr mit neunzehn den Blinddarm entfernt hatte; trotzdem wußte sie genug über die römische Klinikversorgung, um sicher zu sein, daß alte Frauen mit ein paar Prellungen naturgemäß in Mehrbettzimmern landeten.
Sie aber lag allein in diesem Zimmer. Niemand würde bemerken, wenn ihr etwas zustieß.
Ihr Blick fiel auf ein Holzkreuz über der Tür. Kalter Schweiß drang ihr aus allen Poren. Dies war ein katholisches Krankenhaus!
Ihre Gedanken überschlugen sich. Es gab jetzt keinen Zweifel mehr, daß sie in der Falle saß. Man würde sie nicht verlegen, nicht aus diesem Zimmer und nicht in eine andere Klinik. Es gab einen guten Grund, weswegen sie ausgerechnet hier war. Jemand hatte dafür gesorgt. Jemand, den sie kannte … und der vermutlich nicht das Telefon von Jupiter und Coralina abhörte, sondern ihres. Jemand, der jetzt wußte, daß sich die Scherbe hier im Zimmer befand.
Sie zog ihre bebende Hand vom Klingelknopf zurück, doch die Zimmertür wurde trotzdem geöffnet.
Domovoi, dachte sie kalt.
Doch es war nicht Trojan, der den Raum betrat. Es war eine junge Frau.
»Guten Abend«, sagte sie lächelnd und drückte die Tür sachte hinter sich ins Schloß.
Wieder ging es abwärts.
Janus führte sie eine Treppe hinunter in den Keller des Monastero Mater Ecclesiae. Durch eine Bohlentür, die aussah wie der Eingang zu einer mittelalterlichen Schatzkammer, traten sie in einen unterirdischen Versammlungsraum. Er war kleiner als der Speisesaal und wurde durch einen Kronleuchter mit
Weitere Kostenlose Bücher