Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus des roten Schlächters

Das Haus des roten Schlächters

Titel: Das Haus des roten Schlächters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
Vom Netzwerk:
die
Ohren. »Cui bono?«fragte er.
    »Was heißt
das?«
    »Ciceros
berühmte Frage: Wer hat etwas davon?«
    Cranston schürzte
die Lippen. »Eine gute Frage, mein lieber Bruder. Sie
führt uns zu Sir Ralphs Bruder, Sir Fulke Whitton. Der wird
ein gut Teil vom Vermögen seines Bruders erben.«
Cranston verstummte und rülpste leise mit halbgeschlossenen
Augen. Athelstan rühmte sich, den dicken Coroner so gut zu
kennen wie seine eigene
Handfläche.       
    »Aber, Sir
John«, bohrte er, »da ist doch noch mehr, oder?«
Cranston klappte die Augen auf. »Selbstverständlich.
Whitton war
nicht beliebt, weder bei Hofe noch bei den Londonern, und auch
nicht bei den Bauern.«
    Athelstan war
bestürzt. Auf diesen Pfaden waren sie schon öfter
gewandelt.
    »Ihr meint,
dahinter steckt vielleicht die Große Gemeinde?«
Cranston nickte. »Könnte sein. Und denke daran, Bruder:
Auch einige deiner Pfarrkinder könnten dazugehören. Wenn
die Große Gemeinde handelt und die Revolte sich ausbreitet,
dann werden die Rebellen versuchen, den Tower zu erobern. Wer ihn
beherrscht, beherrscht den Fluß, die Stadt, Westminster und
die Krone.«
    Athelstan zog die
Zügel an und überdachte Cranstons Worte. Es stand nicht
gut um London. Der König war ein Kind, sein Onkel John von
Gaunt ein höchst unpopulärer Regent. Der Hof war
verlottert, aber den Bauern wurden endlos Steuern abgepreßt,
und sie waren durch grausame Gesetze an ihre Scholle gebunden.
Schon seit einer Weile gab es Gemunkel, Gerüchte, die wie
Blätter im Wind trieben: Bauern in Kent, Middlesex und Essex
hätten eine Geheimgesellschaft gegründet, die
»Große Gemeinde«. Deren Führer planten
angeblich den Aufstand und den Marsch nach London. Athelstan kannte
sogar einen der Anführer flüchtig - John Ball, ein
Wanderpriester und Mann von solcher Beredsamkeit, daß er mit
Sätzen wie: »Als Adam pflügt’ und Eva spann,
wo war denn da der Edelmann?« noch die friedfertigsten Bauern
in Rebellen verwandeln konnte. War Whittons Tod das Vorspiel zum
Drama, fragte sich Athelstan. Und waren seine Pfarrkinder
beteiligt? Er wußte, daß sie sich in den
Ale-Häusern und Schankstuben trafen und weiß Gott
berechtigte Klagen zu führen hatten.
    Und wenn der Aufstand
käme, was sollte er dann tun? Sich auf die Seite der
Behörden stellen oder sich, wie viele Priester, den Rebellen
anschließen? Er warf Cranston einen Seitenblick zu. Der
Coroner schien seinen Gedanken nachzuhängen; wieder
spürte der Ordensbruder die Traurigkeit, die ihn
umgab.
    »Sir John, fehlt
Euch etwas?«
    »Nein,
nein«, murmelte der Coroner.
    Athelstan ließ
ihn in Ruhe. Vielleicht, überlegte er, hatte Sir John am
letzten Abend zu tief ins Glas geschaut.
    Sie ritten die
verschneite Tower Street herunter, vorbei an der Kirche, vor der
ein Almosenempfänger kniete und für irgendeine Sünde
Buße tat; seine Hände, die den Rosenkranz umklammerten,
waren hart vom Frost. Athelstan grauste es bei dem Gedanken an die
Bußen, die manche seiner Brüder im Priesteramt ihren
Gemeindekindern auferlegten. Sir Johns Atem hing wie Weihrauch in
der kalten Luft.
    »In drei Teufels
Namen«, murrte er. »Wann kommt endlich die Sonne
wieder?«
    Sie waren in Petty
Wales angelangt, als plötzlich eine Frauenstimme klar und
melodisch ein Weihnachtslied zu singen begann, das Athelstan
besonders mochte. Sie blieben einen Augenblick stehen, um
zuzuhören, und überquerten dann den eisglatten Platz. Vor
ihnen ragten die schneebedeckten Mauern des Tower empor, die
Türme, Bastionen, Bollwerke und Zinnen - ein Berg aus
behauenem Stein. Die gewaltige Festung schien London weniger zu
verteidigen als einzuschüchtern. »Ein bedrückender
Ort«, sagte Cranston leise. »Das Haus des Roten
Schlächters.« Er warf Athelstan einen eigenartigen Blick
zu. »Unsere alten Freunde Mord und Totschlag lauern
hier.« Athelstan überlief ein Schauer, nicht nur wegen
der Kälte. Sie überquerten die Zugbrücke. Der Graben
unter ihnen, das Wasser und auch der grüne Schleim, der es
stets bedeckte, waren gefroren. Sie ritten durch den schwarzen
Torbogen des Middle Tower. Das große Tor klaffte wie ein
aufgerissenes Maul, und das halb herabgelassene Fallgitter waren
die Zähne. Von oben grinsten die abgeschlagenen Köpfe
zweier im Kanal gefaßter Piraten herunter. Athelstan
flüsterte ein Gebet. »Gott schütze uns vor allen
Teufeln, Dämonen, Skorpionen und den bösen Geistern, die
hier hausen.«
    »Gott
schütze mich vor den Lebenden«, witzelte

Weitere Kostenlose Bücher