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Das Haus des roten Schlächters

Das Haus des roten Schlächters

Titel: Das Haus des roten Schlächters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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Cranston
zurück. »Ich fürchte, sogar Satan weint über
das Böse, dessen die Menschen fähig sind.« Das Tor
war von Soldaten bewacht, die, in braune Wollmäntel
gehüllt, unter dem engen Torgewölbe standen.
    »Sir John
Cranston, der Coroner!« verkündete Cranston mit
dröhnender Stimme. »Ich habe die Vollmacht des
Königs. Und dies ist mein Schreiber, Bruder Athelstan, der
seiner unbestreitbaren Sünden wegen auch Pfarrer von St.
Erconwald in Southwark ist. An einem Ort also«, fuhr der
Coroner grinsend fort, als er die Empörung in Athelstans
Gesicht sah, »wo Tugend und Laster sich aneinander reiben und
die Hände schütteln.«
    Die Wachen nickten; in
der durchdringenden Kälte war jede Bewegung zuviel. Athelstan
und Cranston ritten am Byward Tower vorbei und einen gepflasterten
Damm hinauf; ihre Pferde rutschten und stolperten auf den eisigen
Steinen. Am Wakefield Tower wandten sie sich nach links, und durch
einen konzentrischen Kreis von Befestigungsanlagen gelangten sie
auf das Tower Green, eine Wiese, die jetzt von dickem Schnee
bedeckt war. Auch die großen Kriegsmaschinen waren davon
verhüllt: Katapulte, Rammböcke, Steinschleudern und
schwere, eisenbeschlagene Karren. Rechts stand eine mächtige,
aus Fachwerk erbaute Große Halle, an die weitere
Gemächer angebaut waren. Ein Wachposten saß dösend
auf der Treppe und blickte nicht einmal auf, als Cranston
brüllte. Ein schniefender, rotnasiger Pferdeknecht kam
schließlich gerannt und nahm ihnen die Pferde ab. Ein anderer
führte sie die Treppe hinauf in die Große Halle. Zwei
struppige Jagdhunde schnüffelten in der schmutzstarrenden
Binsenstreu am Boden. Einer von ihnen wollte das Bein an Sir Johns
Stiefeln heben und knurrte, als der Coroner nach ihm
trat.
    Die Halle war ein
großer, düsterer Raum mit schmutzigem Steinboden und
wuchtigen Deckenbalken. Ein Kamin am hinteren Ende war groß
genug, um einen Ochsen zu braten. Auf dem Feuerrost türmten
sich die Scheite, aber der Kamin war offenbar verrußt, denn
der Rauch wurde zum Teil in die Halle zurückgedrückt, wo
er wie Nebel unter den Deckenbalken wirbelte. Die Frühmahlzeit
war gerade zu Ende; Küchenjungen räumten Zinnbecher und
hölzerne Teller von den Tischen. In einer Ecke foppten zwei
Männer einen Dachs mit einem Hund; andere drängten sich
ans Feuer. Athelstan schaute sich um. Das Leichentuch des Todes lag
schwer über dem Saal. Er kannte den Gestank, das
Mißtrauen und das unausgesprochene Grauen, das stets auf
einen gewalttätigen, geheimnisvollen Mord folgte. Eine der
Gestalten am Feuer erhob sich und kam eilig herüber, als
Cranston zum zweiten Mal seinen Titel durch die Halle brüllte.
Es war ein langer, dünner Kerl mit roten Haaren; seine
Augenlider waren rosig und wimpernlos. Eine Adlernase beherrschte
das halbrasierte, eckige Gesicht.
    »Ich bin Gilbert
Colebrooke, der Lieutenant. Sir John, Ihr seid höchst
willkommen.« Seine trüben Augen richteten sich auf
Athelstan.
    »Mein
Schreiber«, verkündete Cranston. Dann deutete er auf die
Gruppe am Feuer. »Der Haushalt des Konstablers, nehme ich
an?«
    »Jawohl«,
antworte Colebrooke knapp.
    »Ja, Mann, dann
macht uns bekannt!«
    Als sie
hinübergingen, standen die Leute, die auf Schemeln am Feuer
hockten, auf und begrüßten sie. Man wurde einander
vorgestellt, und Cranston beherrschte unweigerlich das Geschehen.
Wie immer hielt Athelstan sich zurück und studierte die Leute,
die er bald befragen würde. Er würde ihre Geheimnisse
ausgraben, vielleicht sogar Skandale aufdecken, die besser
verborgen geblieben wären. Da war der Kaplan, Master William
Hammond, mager und ernst in seinem schwarzen Gewand. Seine
Bewegungen waren wie die eines angreifenden Vogels, sein Gesicht
sah ungesund aus, und fettige graue Haarsträhnen zogen sich
schütter über den kahlen Schädel. Ein bitterer Mann,
schloß Athelstan, mit einer Nase, so spitz wie ein Dolch,
kleinen schwarzen Äuglein und einem schmallippigen Mund, so
fest verschlossen wie die Börse eines Geizkragens. Zur Rechten
des Kaplans stand Sir Fulke Whitton, der Bruder des Toten: glatt
und fett, mit freundlichem Gesicht und strohblondem Haar. Sein
Händedruck war fest, und er bewegte sich trotz seines
beträchtlichen Leibesumfangs mit der Anmut und Geschwindigkeit
eines Athleten.
    Neben ihm stand die
Tochter des toten Konstablers, Philippa. Keine große
Schönheit mit ihrem breiten Gesicht, aber sie hatte angenehme
braune Augen und hübsches, kastanienbraunes Haar. Sie war
ziemlich

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