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Das Haus des roten Schlächters

Das Haus des roten Schlächters

Titel: Das Haus des roten Schlächters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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Gesicht
verschwunden.
    »Ja, das tue
ich«, knurrte Cranston.
    »Das ist eine
Beleidigung!« platzte der Kaplan heraus. »Lord Coroner,
Ihr seid betrunken. Ihr kommt hier hereingeschwankt, Ihr kennt uns
nicht…«
    Athelstan legte dem
Coroner eine Hand auf den Arm. Er spürte, daß Sir John
in gefährlicher Stimmung war, und er sah auch, daß die beiden
Hospitaliterritter ihre Mäntel geöffnet, die Dolche in
ihren Gürteln freigelegt hatten. Cranston nahm die Warnung
an.
    »Ich beschuldige
niemanden«, sagte er sanft. »Aber es erweist sich
meist, daß der Mord - wie die Barmherzigkeit - zu Hause
wurzelt.«
    »Wir haben es
mit drei Problemen zu tun«, warf Athelstan diplomatisch ein.
»Wer hat Sir Ralph getötet, warum und wie?« Der
Lieutenant schnalzte unhöflich. Cranston beugte sich vor.
»Ihr wollt etwas sagen, Sir?«
    »Ja, allerdings.
Sir Ralph könnte von einem Rebellen aus London ermordet worden
sein, von einem Bauern aus den vielen hundert Dörfern der
Umgebung oder von einem getarnten Attentäter, der geschickt
wurde, um die grausige Tat zu begehen.«
    Cranston nickte ihm
lächelnd zu.
    »Vielleicht«,
antwortete er liebenswürdig. »Aber ich werde später
auf Eure Theorie zurückkommen. Einstweilen wird keiner von
Euch den Tower verlassen.« Er schaute sich in der
düsteren Halle um. »Wenn ich den Leichnam gesehen habe,
will ich Euch alle noch einmal sprechen, aber in angenehmerer
Umgebung.«
    Der Lieutenant nickte.
»In der St.-John’s-Kapelle im White Tower«,
schlug er vor. »Dort ist es warm, sicher und
einigermaßen ungestört.«
    »Gut.
Gut.« Cranston grinste falsch in die Runde. »Dort werde
ich Euch treffen. Jetzt wünsche ich Sir Ralphs Leiche zu
begutachten.«
    »In der
Nordbastion«, antwortete Colebrooke, stand abrupt auf und
ging ihnen voran aus der Halle.
    Sir John folgte ihm
schwankend wie eine Galeone, während Athelstan hastig Feder,
Tintenhorn und Pergament einpackte. Der Ordensbruder war zufrieden:
Er hatte Namen und einen ersten Eindruck, und Cranston
hatte seinen üblichen Lieblingstrick angewandt und jedermann
befremdet. Der Coroner war gerissen wie ein Fuchs.
    »Wenn du
Verdächtige grob behandelst«, hatte er einmal
erklärt, »werden sie wahrscheinlich weniger Zeit mit
Lügen verschwenden. Und, wie du weißt, Bruder, die
meisten Mörder sind Lügner.«
    Colebrooke wartete am
Fuß der Treppe zur Großen Halle und führte sie
schweigend am White Tower vorbei, der sich schimmernd aus dem
tiefen Schnee erhob. Jeder Absatz, jedes Sims und jedes
Fensterbrett waren von Eis und Schnee bedeckt. Athelstan blieb
stehen und schaute hoch.
    »Prachtvoll!« murmelte
er. »Wie groß sind doch die Werke des
Menschen.«
    »Und wie
schrecklich«, fügte Cranston hinzu.
    Beide standen für
ein paar Augenblicke da und bewunderten die kahlen, weißen
Mauern des gewaltigen Turmes. Sie wollten gerade weitergehen, als
unter einer Außentreppe am Fuße der Festung eine
Tür aufflog. Ein phantastisches Geschöpf mit einem Buckel
und dichtem weißen Haar stand plötzlich für einen
Augenblick wie angefroren vor ihnen. Sein Gesicht war bleich, und
sein Körper war von zahllosen bunten und schmutzigen Lumpen
bedeckt; die Füße steckten in viel zu großen
Stiefeln. Endlich kam er wie ein Hund auf allen vieren auf sie zu.
Schneewolken stoben rechts und links in die Höhe. Der
Lieutenant wandte sich fluchend ab.
    »Willkommen im
Tower!« kreischte das Geschöpf. »Willkommen in
meinem Königreich! Willkommen im Tal der Schatten des
Todes!«
    Athelstan schaute
hinunter in das verzerrte fahle Gesicht und die milchigen Augen des
Albinos, der vor ihnen kauerte. »Guten Morgen, Sir«,
entgegnete er. »Und wer seid Ihr?«
    »Rothand.
Rothand«, brummelte der Bursche. Seine bläulichen Lippen öffneten
sich, und schmutziggelbe Zähne klapperten vor Kälte.
»Mein Name ist Rothand.«
    »Na, du bist mir
ein komischer Halunke, Rothand«, rief Cranston.
    Die irren Augen
betrachteten den Coroner verschlagen. »Wahnsinn ist, was
Wahnsinn treibt«, murmelte Rothand. »Doppelt so
verrückt wie einige und halb so verrückt wie
andere.« Er holte die Hand hinter dem Rücken hervor und
schüttelte einen Stock, an dem eine schmutzige, aufgeblasene
Schweinsblase festgebunden war. »Also, meine Schätzchen,
wollt Ihr mit Rothand spielen?«
    »Verpiß
dich, Rothand«, schnarrte der Lieutenant und machte einen
drohenden Schritt auf ihn zu.
    Der Albino funkelte
Colebrooke nur an.
    »Der alte
Rothand weiß so manches«, sagte er.

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