Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus des roten Schlächters

Das Haus des roten Schlächters

Titel: Das Haus des roten Schlächters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
Vom Netzwerk:
dann
einem kalten Silbermond ihre eigenen gespenstischen Vespern sangen.
»Was wird geschehen, Bonaventura, wenn der Aufstand kommt?
Werden wir uns auf die Seite von Pike, dem Grabenbauer, und den
anderen Besitzlosen stellen?«
    Bonaventura grinste
und zeigte dabei rosiges Zahnfleisch und spitze
Elfenbeinzähne. Pike, der Grabenbauer! Merkwürdig, dachte
Athelstan, aber so war es nun mal. Er konnte es nicht beweisen, war
aber sicher, daß der Grabenbauer der Großen Gemeinde
angehörte und für ihre Anführer geheime Botschaften
überbrachte. Athelstan straffte sich, als die Kirchentür
aufging.
    »Bruder
Athelstan? Bruder Athelstan?«
    Der Ordensbruder
lächelte. Benedicta. Vielleicht würde sie das Abendbrot
mit ihm teilen? Sie könnten über die Gemeinde plaudern
und klatschen; alles, solange es nur Ablenkung brachte. Er setzte
Bonaventura hin, stand auf und lächelte dann noch etwas
breiter, um seine Enttäuschung zu verbergen. Neben Benedicta
stand, im Fackelschein deutlich sichtbar, ein hochgewachsener Mann.
Sein Gesicht war von der Sonne dunkelbraun gebrannt, und sein
rabenschwarzes Haar am Hinterkopf zu einem Knoten zusammengebunden.
Er trug einen blauen Mantel, der bis auf die schneefleckigen
Stiefel reichte. Athelstan ging ihnen entgegen. Der Mann sah
auffallend gut aus, fand er; er hatte die scharfen Züge eines
Wanderfalken, lebhafte dunkelbraune Augen, eine Hakennase und einen
sauber getrimmten Bart. Athelstan sah eine Perle, die an einer
goldenen Kette an seinem Ohrläppchen
hing.   
    »Das ist Doktor
Vincentius«, erklärte Benedicta.
    Athelstan ergriff eine
kraftvolle braune Hand. »Guten Abend, Sir. Ich habe von Euch
gehört.«
    Und wer hätte das
nicht? dachte er bei sich. Der Arzt wohnte in der Duckets Lane,
abseits der Windmill Street, auf der anderen Seite des Gasthofes
Zum Wappenrock. Dort hatte er vor kurzem ein großes Haus
gekauft, mit einem Garten, der an den Fluß grenzte - direkt
gegenüber von Botolph’s Wharf. Vincentius hatte sich als
Arzt einen Namen gemacht. Seine Honorare waren gering, er
ließ die Patienten nicht mit Blutegeln zur Ader und benutzte
auch keine wunderlichen Sternenkarten oder törichte
Beschwörungsgesänge. Statt dessen legte er großes
Gewicht auf Sauberkeit, vernünftige Ernährung, die
Wirkung von abgekochtem Wasser und die Notwendigkeit, Wunden
sauberzuhalten. Cecily, die Hure, hatte einmal angedeutet,
daß er eine Salbe verwende, die gewisse Geschwüre an den
empfindlichsten Körperteilen höchst wirkungsvoll zum
Abklingen bringe. Athelstan betrachtete das gutaussehende Gesicht,
und er sah auch Benedictas strahlendes Lächeln. Eifersucht
durchfuhr ihn wie ein
Stich.       
    »Ich habe von
Euch gehört, Pater«, erwiderte der Doktor
lächelnd.
    Athelstan zuckte die
Achseln. »Ich bin Priester, Ordensbruder, einer von
Tausenden.«
    Der Arzt spreizte die
Hände, und die Ringe an seinen Fingern funkelten. »Es
steht auch auf vielen Grabsteinen: Ich war ein reicher Mann, bevor
ich einem Arzt begegnete …«
    Athelstan lachte. Der
Mann gefiel ihm. »Man sieht Euch nicht in der Kirche«,
neckte er.
    »Eines Tages
vielleicht, Pater.«
    »Doktor
Vincentius wollte Euch unbedingt kennenlemen.« Benedicta
sprach schüchtern wie ein junges Mädchen. »Ich
dachte mir, Pater, Ihr könntet vielleicht mit uns zu Abend
essen?« Athelstan hatte große Lust abzulehnen, aber das
wäre unhöflich gewesen. Er klatschte in die Hände,
löschte die Lichter in der Kirche und schloß die
Tür ab; Bonaventura konnte auch im Dunkeln auf die Jagd gehen.
Er ging zum Haus hinüber; Benedicta und ihr fremder Gast
warteten auf der Kirchentreppe. Philomel mampfte immer noch
geräuschvoll seinen Hafer. Athelstan klopfte ihm sanft den
Hals, holte seinen Mantel und kehrte zurück zu Benedicta und
Vincentius.
    Durch stille, vereiste
Straßen gingen sie zur Flete Lane, nicht weit vom Holyrood
Walk, wo die Witwe wohnte. Es war das erste Mal, daß
Athelstan ihr Haus betrat, ein einstöckiges, alleinstehendes
Gebäude mit Garten zwischen zwei schmalen Gassen. Im
Erdgeschoß lagen eine große Küche, eine Wohnstube
und eine Vorratskammer. Die Steinplatten waren geschrubbt und
sauber gefegt, aber ohne Binsenstreu. Zwei Stühle standen
vor einem
lodernden Holzfeuer. Den Kamin schmückte ein breites
Eichenholzbord mit Silber- und Zinnbechem, die im Licht zweier
vielarmiger Kerzenleuchter schimmerten. Dunkelrote Wollteppiche
hingen an weißgekalkten Wänden. Ein warmer, anheimelnder
Ort, fand

Weitere Kostenlose Bücher