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Das Haus des roten Schlächters

Das Haus des roten Schlächters

Titel: Das Haus des roten Schlächters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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wahrer
Hektor auf dem Schlachtfeld und ein Paris im Schlafgemach. Sir John
sah seine Frau wehmütig an, und sie lächelte zurück.
Sollte er davon anfangen? Sir John schluckte. Er wagte es nicht.
Cranston hatte vor niemandem Angst; er hatte den Körper eines
Stieres und das Herz eines Löwen. Aber insgeheim war er auf
der Hut vor seiner zierlichen, puppenhaften Frau. Oh, sie schrie
niemals und bewarf ihn auch nicht mit Gegenständen. Sie
saß einfach da und widersprach ihm und schälte seine
Aufgeblasenheit ab wie die Häute einer Zwiebel, bevor sie dann
schließlich schmollte und tagelang kein Wort mit ihm
sprach.
    »Sir John, ist
alles in Ordnung?«
    »Ja,
Mylady«, murmelte Cranston.
    Die Magd trug das
Essen auf. Geschmorte Rindspasteten, die Teighülle knusprig
und golden. Das Fleisch darin war mit Kräutern gewürzt
und in einer dicken Zwiebeltunke gegart. Befeuert durch zwei
großzügig gefüllte Becher Rotwein, besserte sich
Cranstons Laune.
    »Ihr wart heute
im Tower, Sir John?«
    »Jawohl - wegen
Sir Ralph Whitton, dem Konstabler. Gestern war er noch ganz, und
heute morgen war seine Kehle durchgeschnitten.«
    Lady Maude nickte; sie
hatte gehört, daß Sir Ralph ein harter, grausamer Mann
sei.
    »Und Ihr,
Mylady?«
    »Oh, heute
morgen habe ich die Haushaltsbücher geführt, und dann war
ich an der frischen Luft.«
    »Wo
denn?«
    »In Cheapside.
Warum?«
    »Ihr wart nicht
in Southwark?«
    »Bei der
Heiligen Messe, Sir John, nein! Warum fragt Ihr?« Cranston
schüttelte den Kopf und wandte den Blick ab. Er hatte gemerkt, wie ihre
Stimme zitterte. Sein Herz krampfte sich zusammen, und er
ließ den dunkelroten Wein plätschernd in seinen Becher
fließen, bis dieser randvoll war.
    *
    Im dunklen Tower
wanderte der Hospitaliter Gérard Mowbray an der hohen
Brustwehr entlang, die auf der inneren Mauer vom Broad Arrow Tower
zum Salt Tower reichte. Der Nachtwind zerrte an seinem
schütteren grauen Haar, biß ihm in Ohren und Wangen und
krallte sich in seinen grauen Umhang. Sir Gérard
kümmerte sich nicht um die Kälte. Er kam immer hierher.
Hier ging er am liebsten spazieren. Oft blieb er stehen und hielt
in der Dunkelheit Ausschau nach den Ruinen aus Caesars Zeiten, aber
nicht heute nacht. Der Nebel war zu dicht. Im Norden konnte er noch
das Leuchtfeuer im Turm von St. Mary Grace erkennen und im
Süden die Feuer und den Fackelschein vom Hospital von St.
Katharina. Sir Gérard schaute in den Himmel hinauf. Die
Wolken rissen auf und enthüllten einen Wirbel von Sternen.
Seltsam, dachte er. In Outremer wirkten die Sterne näher, und
das samtene Dunkel des Himmels war so nah gewesen, daß man
auf Zehenspitzen die Lichter vom Himmel pflücken zu
können meinte.
    Mowbray lehnte sich an
die Zinnenmauer. Ja, das waren glücklichere Zeiten gewesen! Er
dachte an den brennend heißen Sand vor Alexandria, wo er, Sir
Brian, Sir Ralph und die anderen ein Trupp sorgenfreier Ritter
gewesen waren, die nur zu gern das Gold des Feindes eingesackt
hatten. Mowbray erinnerte sich an den Höhepunkt dieses
Feldzuges. In Alexandria hatte es einen Aufstand gegeben, und das
Heer des Kalifen, Mowbrays Truppe eingeschlossen, war vor der Stadt
aufgezogen. Die Luft hatte vibriert im Rhythmus der Kesselpauken,
die großen grünen Banner im Wind geknattert, und die
silbernen Halbmonde auf den Standarten hatten in der sengenden
Sonne geblitzt. Monatelang war die Stadt belagert worden;
schließlich hatte man eine Bresche in die Mauer schlagen
können. Er und Sir Brian waren als erste hineingestürmt,
hatten Schulter an Schulter mit ihren Kameraden einen
kämpfenden Ring aus Stahl gebildet, der sich langsam in die
Stadt hineinschob. Die Heerscharen des Kalifen waren ihnen mit
ihrem Kampfgeschrei gefolgt, das anschwoll und nachließ wie
ein dämonischer Chorgesang. Die Ritter hatten sich ihren Weg
durch die Bresche gebahnt und weiter an der Mauer entlang zu den
Stufen, die zur Brustwehr über dem Haupttor
hinaufführten.
    Sir Gerards Gedanken
versanken bereitwillig in der Vergangenheit. Er dachte an die
durchdringende Hitze, an das Sonnenlicht, das auf Schwertklingen
und Dolchen tanzte, an das Tosen der Schlacht und das Blut, das
emporsprühte wie aus tausend Springbrunnen, wenn Männer
mit furchtbaren Wunden an Kopf, Körper oder Bein schreiend zu
Boden fielen. Langsam hatten sie sich die Treppe
hinaufgekämpft, einen Weg durch menschliches Fleisch gehackt,
bis sie über dem Haupttor angekommen waren. Und dann, wer
war’s gewesen? Natürlich, wie

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