Das Haus des roten Schlächters
Athelstan, genau so, wie er ihn sich vorgestellt hatte.
Die beiden Männer halfen Benedicta, das Essen zuzubereiten und
aufzutischen. Erst gab es einen Brei aus Eiern und gewürztem
Brot, dann einen saftigen Hasen, in Wein gekocht, mit einem Pudding
in Form einer Burg, einen Krug kühlen Weißwein und
Rotwein, den Cranston im Handumdrehen leer getrunken
hätte.
Vincentius beherrschte
die Unterhaltung mit seiner ruhigen Art. Athelstan fand sein
höfliches Benehmen und seine sanfte, wohlmodulierte Stimme
faszinierend. Vincentius merkte schließlich, daß er
zuviel redete, wechselte das Thema und erkundigte sich nach dem Tag
des Ordensbruders. Athelstan erzählte von seinem Ausflug in
den Tower und von Sir Ralph Whittons Tod. »Keiner wird ihn
vermissen«, bemerkte Vincentius. »Ein finsterer,
kriegerischer Mann.«
»Ihr kanntet
ihn?«
Der Arzt
lächelte. »Ich habe von ihm gehört, aber eigentlich
finde ich den Tower interessanter. Ich war gestern dort. Ein
wunderbares Zeugnis der Feinsinnigkeit des menschlichen Geistes,
zumal, wenn es um kriegerische Maschinen und Anlagen geht.«
Vincentius nahm einen Schluck aus seinem Kelch. »Ihr sagt,
man hat Sir Ralph die Kehle durchgeschnitten?«
»Ja«,
sagte Athelstan. »Warum?«
»In welchem
Zustand war der Leichnam, als man ihn entdeckte?«
»Wie meint Ihr
das?«
»War er kalt?
War das Blut geronnen?«
»Ja«,
antwortete Athelstan, erinnerte sich, daß er diese Frage
nicht gestellt hatte, und wechselte geschickt das Thema.
»Woher kommt Ihr, Doktor?« Der Arzt stellte seinen
Weinbecher behutsam hin.
»Ich bin in
Griechenland geboren, als Sohn fränkischer Eltern. Ich habe in
Cambridge studiert, später in Santiago und Salerno.« Er
grinste. »In Salerno«, fuhr er fort, »habe ich
die meiste Zeit darauf verwendet zu vergessen, was ich in Cambridge
gelernt hatte. Die Araber haben die Medizin gründlicher
begriffen als wir. Sie wissen mehr über den Körper des
Menschen, und sie haben gute griechische Übersetzungen von
Galens Kunst der Medizin und Hippokrates’ Buch der
Symptome.«
»Und was hat
Euch nach Southwark zurückgebracht?« wollte Benedicta
wissen.
Der Arzt lächelte
wie über einen geheimen Scherz. »Was spräche
dagegen?« sagte er scherzhaft. »Reichtum? Ich habe
genug. Und, wie Ihr wißt, Bruder: Die Armen brauchen jede nur
mögliche Hilfe.« Er beugte sich vor und schaute
Athelstan aufmerksam an.
»Was werdet Ihr
empfehlen, Doktor?« fragte Athelstan spöttisch.
»Die Arznei des Adlers gegen schlechte
Augen?«
»Was ist
das?« fragte Benedicta.
»Bruder
Athelstan scherzt«, sagte Vincentius. »Die Scharlatane
behaupten, der Adler habe so scharfe Augen, weil er rohen Salat
frißt. Deshalb behaupten sie, die Augen mit Salatsaft
einzureiben helfe gegen jede Art von
Augenentzündung.«
»Und stimmt
das?«
»Ein Haufen
Unsinn ist das«, brauste Vincentius auf. »Warmes Wasser
und ein sauberes Tuch leisten bessere Dienste! Nein, Bruder.«
Er klopfte Athelstan sanft auf die Finger. »Was Ihr braucht,
ist mehr Schlaf. Und wenn Ihr Salat habt, dann eßt ihn. Er
wird Euch guttun.«
Athelstan lachte.
»Wenn ich noch welchen hätte! Der Frost hat fast alles
in meinem Garten vernichtet, und Ursulas Schwein frißt den
Rest.«
Benedicta
erzählte von Ursula und dem bösartigen Schwein; Athelstan
fühlte sich versucht, mit Vincentius über die Entweihung
seines Friedhofes zu sprechen, fand dann aber dieses Thema für
ein Tischgespräch nicht besonders geeignet. Er warf einen
Blick auf die Stundenkerze, sah, daß es spät war, und
stand auf, um sich zu verabschieden. Als Benedicta bat, noch zu
bleiben, lehnte er höflich ab. Das Essen hatte ihm gut
geschmeckt, aber jetzt war er froh, verschwinden zu können: Er
war Priester, ermahnte er sich, und Benedicta war Herrin über
ihr Leben. Er verließ das Haus und stapfte müde durch
den Schnee. Die Nacht war kalt und schwarz, aber als er stehenblieb
und zwischen den dunklen, überhängenden Hausgiebeln in
die Höhe schaute, sah er zu seiner Freude, daß die
Wolken aufzureißen begannen. Eigentlich wollte er sofort nach
Hause gehen, doch da entdeckte er Pike, den Grabenbauer, betrunken
wie ein Bischof, am Weg zur Kirche. Athelstan half seinem verirrten
Gemeindekind auf die Beine.
»Guten Abend,
Pater.«
Athelstan zuckte
zurück vor den Dünsten, die ihm
entgegenwallten.
»Pike,
Pike«, tadelte er. »Du Trottel. Du solltest bei deiner
Frau im Bett liegen.«
Pike wankte davon und
rieb sich die Nase. »Ich habe
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