Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus des roten Schlächters

Das Haus des roten Schlächters

Titel: Das Haus des roten Schlächters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
Vom Netzwerk:
sie
verschlagen zu Athelstan hinauf. »Guten Morgen, Vater. Selten
sieht man einen Priester so früh.«
    »Mütterchen!«
schrie Cranston und lockerte sich den Schal vor dem Mund. »Es
ist gut, bei diesem gottverlassenen Wetter überhaupt jemanden
zu sehen. Was macht ihr hier?«
    »Wir begraben
Eadwig.«
    »Hier?«
fragte Athelstan. »Hier ist weder Kirche noch
Friedhof.« Die alte Vettel hob die hagere Hand. »Kommt
und seht! Kommt und seht!«
    Widerstrebend trieben
sie ihre Pferde näher heran. Cranstons Tier wurde nervös,
und auch Philomel zeigte ein lebhaftes Interesse für die
Gruppe am Schafott. Die Dorfbewohner gaben den Weg frei für
den Coroner und seinen Begleiter. Athelstan sah rote, schmutzige
Gesichter, fettiges, verfilztes Haar und hier und da
haßerfüllte Blicke auf ihre wohlgenährten Pferde
und warmen Wollmäntel.
    Cranston warf einen
Blick auf Eadwigs Leichnam, schloß die Augen und wich
zurück. Der Bauer hatte gehangen. Sein Gesichtwar schwarz, die
Zunge klemmte, halb abgebissen, immer noch zwischen den gelben
Zähnen, und ein Auge war aus seiner Höhle gequollen und hing
grotesk auf der verschrammten Wange.
    »Gütiger
Gott!« hauchte Athelstan. »Was ist
passiert?«
    »Er hat sich
umgebracht!« gackerte die Alte. »Du kennst das Gesetz,
Vater?«
    »O ja,
Mütterchen, ich kenne das Gesetz.« Er warf einen Blick
auf den kleinen Pfahl, der am Schafott lehnte. »Sir John, wir
sollten weiterreiten.«
    Der Coroner brauchte
keine zweite Aufforderung. Sie wendeten ihre Pferde, ohne sich um
das leise Gekicher hinter ihnen zu kümmern. Athelstan
schloß die Augen und betete etwas aus dem nächstbesten
Psalm, um das furchtbare Grauen abzuwehren, das zur Welt der
Menschen gehörte. Hinter sich hörte er noch die
Schläge des Holzhammers, mit dem der Pfahl durch das Herz des
Selbstmörders getrieben wurde.
    »Gütiger
Gott«, murmelte Cranston. »Ihr Priester solltet das
schleunigst ändern. Nur der Herr im Himmel weiß, weshalb
der arme Hund sich umgebracht hat. Aber muß man einen
Selbstmörder wirklich am Kreuzweg bei einem Galgen begraben
und ihm vorher mit einem Pfahl das Herz
durchbohren?«
    »Die
Bischöfe haben versucht, dem ein Ende zu machen«, sagte
Athelstan. »Aber in gewissen Gegenden und auch auf gewissen
Herzen, Sir John, liegen die Lehren Christi so dünn und lose
wie ein Spinnennetz.«
    Sie ritten durch
Leighton und folgten dem Weg, der an den dunklen Massen des Epping
Forest vorbei nach Woodforde führte. Als die Glocke zur
neunten Stunde schlug, hatten sie das Dorf erreicht. Es war
reizlos. Ein paar Dörfler, mit Kapuzenmänteln vor der
Kälte geschützt, liefen umher und scheuchten dürre
Hühner vor den Pferden weg. Ein paar Jungen zogen abgenutzte
Holzeimer aus einem Brunnen herauf, und hier und da kippte eine
Hausfrau den Inhalt des Nachttopfes mitten auf die Straße.
Sogar das Ale-Haus war noch verriegelt und verrammelt.
    »Wie ein Dorf
der Toten«, murmelte Athelstan.
    »Aye, das kann
gut sein, Bruder«, antwortete Cranston durch seinen Schal.
»Bei der Kälte kann niemand auf den Feldern
arbeiten.«
    Ein kleiner Junge, das
Gesicht vor Kälte weiß verkniffen, lief plötzlich
feierlich neben ihnen her; mit der einen knochigen Hand umklammerte
er einen schmutzigen Segeltuchbeutel. Athelstan zügelte
Philomel.
    »Was gibt es,
Junge?«
    Der Junge starrte mit
runden Augen wortlos auf Philomels Schwanz.
    »Komm schon,
Kleiner - was willst du?«
    »Mutter sagt,
ich soll mitgehen. Sagt, ich soll warten, bis das Pferd den Schwanz
hebt.«
    Cranston gluckste.
»Er wartet darauf, daß unsere Pferde scheißen.
Das ist guter Dünger, und wenn man es trocknet, brennt es warm
und fröhlich.«
    Athelstan schlug
grinsend seine Kapuze zurück, wühlte in seiner Börse
und warf dem Jungen einen Penny zu. »Du kannst alles haben,
was unsere Pferde fallen lassen, mein Junge«, erklärte
er. »Hier ist ein Penny für deine Mühen. Du kennst
doch die Familie Burghgesh. Sie haben hier ein
Herrenhaus.«   
    »Oh, alle
weg«, antwortete der Bengel, ohne den Blick von Philomels
Schwanz zu wenden. »Das Haus liegt hinter dem Dorf bei
Buxfield, aber es ist leer und zugeschlossen. Pater Peter
weiß Bescheid.« Er deutete auf die ziegelgedeckte
Kirche, deren grauer Schieferturm über die Baumwipfel
ragte.
    Athelstan trieb
Philomel an. »Dann machen wir dort halt.«
    Sie ritten durch die
Pforte auf den Kirchhof und folgten einem Pfad, der sich zwischen
Bäumen und überwucherten Gräbern auf die
normannische

Weitere Kostenlose Bücher