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Das Haus des roten Schlächters

Das Haus des roten Schlächters

Titel: Das Haus des roten Schlächters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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und als er genug hatte,
sank er gegen die Einfassung des großen Kamins, rülpste
und war es zufrieden. Athelstan starrte in die Flammen und lauschte
mit halbem Ohr dem inzwischen aufgekommenen Wind, der heulend an
den verschlossenen Fensterläden rüttelte.
    »Bruder?«
    »Ja, Sir
John?«
    »Die Sache im
Tower - könnte das Schwarze Magie sein?«
    »Wie meint Ihr
das?«
    »Na ja, der
Kopf, den ich geschickt bekommen habe …« Athelstan
streckte die Hand dem Feuer entgegen. »Nein, Sir John. Ich
habe schon einmal gesagt, wir haben es nicht mit einem Dämon
zu tun, sondern mit etwas Schlimmerem: mit einer Seele in
Todsünde. Aber mit wessen Seele?« Er sah Sir John an,
der seine leuchtend rote Nase schon wieder tief in den Weinbecher
versenkt hatte. »Warum ausgerechnet jetzt? Das verstehe ich
nicht. Warum hat der Mörder sich diesen Zeitpunkt gesucht? Und
woher weiß er von den schrecklichen Ereignissen um Burghgeshs
Tod?«
    »Wie meinst du
das?« lallte Cranston.
    Athelstan reckte
sich.
    »Wir sollten
Ausschau halten nach jemandem ohne jeden Hintergrund, jemandem, der
unvermittelt auf der Szene erschienen ist; aber alle die, mit denen
wir gesprochen haben, haben ihre eigene kleine
Nische.«
    Cranston rülpste.
»Ich weiß nicht. Aber es könnte trotzdem Schwarze
Magie sein, denn ich kann verdammt keinen Weg durch dieses
Gestrüpp finden. Ich habe schon zu Lady Maude
gesagt…«
    Plötzlich
verstummte der Coroner, starrte in seinen Becher, und seine Miene
wurde ernst.
    »Kommt, Sir
John«, sagte Athelstan ruhig. »Zeit zum
Schlafengehen.«
    Überraschenderweise willigte
Cranston ein; er trank seinen Becher leer und stellte ihn
dröhnend auf den Tisch. Dann stand er schwankend auf und
grinste wohlwollend auf seinen Gefährten herunter.
    »Aber glaubst du
daran, Bruder?«
    »Woran, Sir
John?«
    »An Schwarze
Magie? Ich meine, zum Beispiel die Sache auf deinem
Friedhof.«
    Athelstan grinste.
»Um ganz ehrlich zu sein, Sir John, vor dem menschlichen
Herzen habe ich mehr Angst als vor irgendeinem bösen
Dämon. Und jetzt kommt; es wird Zeit.«
    Athelstan war froh,
den richtigen Zeitpunkt getroffen zu haben, denn als sie die
wacklige Holzstiege erklettert hatten, war Cranston schon halb
eingeschlafen und murmelte herzerweichend von Lady Maude und wie
sehr er sie vermißte. Athelstan führte ihn durch einen
kalten, dunklen Korridor in die Schlafkammer. Behutsam ließ
er ihn auf das Bett sinken, zog ihm die Stiefel aus und machte es
ihm so bequem wie möglich. Der Coroner wälzte sich auf
die Seite, rülpste noch einmal und fing an zu schnarchen.
Athelstan grinste und deckte die massige Gestalt zu. Im Schlaf
hatte Cranston noch mehr Ähnlichkeit mit dem großen
Bären im Tower. Athelstan ging zu dem kleinen Fenster mit der
Hornscheibe, kniete nieder, bekreuzigte sich und sprach leise die
Worte des Psalms Davids.   
    »Aus der Tiefe
rufe ich zu dir, O Herr, Herr erhöre meine
Stimme.«
    Als er beim vierten
Vers angekommen war, schweiften seine Gedanken bereits ab. Ob Sir
John recht hatte? Spukte der große Dämon, der Rote
Schlächter, auf seinem Friedhof und im Tower in London?
Athelstan schloß die Augen, beendete den Psalm und legte sich auf
seinen Strohsack. Eine Zeitlang lag er da und lauschte Cranstons
lautem Schnarchen, dann schlief er ein - fast zur gleichen Zeit,
als Schatten über den dunklen Friedhof von St. Erconwald
huschten und sich über ein frisches Grab beugten.

11. Kapitel
    Im Traum stand
Athelstan auf einem dunklen Schiff. Bugspriet, Mast und Segel waren
mit dunklem Crêpe verhangen. Auf dem Achterdeck über ihm
stand ein Skelett, dessen Gesicht eine weiße, höhnische
Maske war, am Steuer und grinste böse auf ihn herab. Die See
war glatt und klar wie dickes, dunkles Glas. Der sternenlose Himmel
hing wie ein blauviolettes Tuch über dem Schiff, das dem
Horizont entgegentrieb, wo feurigrote Glut das Tor zur Hölle
wies. An einem Mast hing krampfhaft zuckend eine Gestalt. Athelstan
erkannte das schwarze, verzerrte Gesicht des Grabenbauers Pike, der
dort aufgehängt worden war. Jemand klopfte ihm auf die
Schulter. Sein Bruder Francis stand hinter ihm; sein Gesicht unter
dem dichten schwarzen Haar war bläulich weiß. Ein
dünnes Rinnsal von rotem Blut sickerte ihm aus dem Mundwinkel,
und seine Brust, wo er die tödliche Wunde empfangen hatte, war
eine offene, blutig blubbernde Masse.
    »Du bist
weggelaufen aus deinem Kloster, Bruder?« Seine Stimme klang
hohl.
    Athelstan streckte die
Hand aus. »Es tut

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