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Das Haus des roten Schlächters

Das Haus des roten Schlächters

Titel: Das Haus des roten Schlächters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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Strömung verändert, und deshalb
ist der Beutel ans Ufer gedrückt worden.«
    »Mit anderen
Worten, es ist hier hineingeworfen worden?«
    »Ja, Pater.
Entweder hier oder irgendwo in der Nähe.« Athelstan
schaute auf die Schlickbänke und Mauern, die sich zur Linken
bis zur London Bridge erstreckten. Das Gelände war zu offen,
überlegte er. Kein Verbrecher würde sich auch nur im
Traum einfallen lassen, eine so schreckliche Tat an einem Ort zu
begehen, wo er gesehen werden konnte. Sein Blick ging nach rechts,
zu der langen Reihe großer Häuser, deren Gärten bis
zum Fluß reichten. Eine Erinnerung regte sich.
»Könnte das sein?« murmelte er, »ich frage
mich wirklich …?«
    »Was denn,
Pater?«
    »Nichts, Master
Bladdersniff. Geht zurück zu meiner Kirche, nehmt, was von dem
armen Tosspot übrig ist, und begrabt alles, wie Ihr es
für richtig haltet.«
    »Aber, Pater, es
ist nicht meine …«
    »Tut, was ich
sage!« bellte Athelstan. »Tut es oder verantwortet Euch
vor dem Coroner der Stadt, Sir John Cranston!«
    »Der ist hier
nicht zuständig.«
    »Nein, aber das
kann er leicht ändern«, versetzte Athelstan. »Um
Himmels willen, Mann, tut es für mich. Tut es für den
armen Tosspot. Bitte.«
    Bladdersniff starrte
ihn an, nickte dann und marschierte davon. Athelstan kehrte nach
St. Erconwald zurück. Er hatte eines der Häuser am
Fluß wiedererkannt und zugleich daran gedacht, wie sauber und
glatt das Bein abgetrennt worden war. Erinnerungen an seine Zeit
als Soldat in den Notlazaretten bei den Truppen des alten
Königs in Frankreich waren erwacht. Und Athelstan dachte an
den Friedhof. Wo waren die Leprakranken? Wieso hatten sie nichts
bemerkt? Athelstan dachte an die Aussätzigen, die er in der
Nähe von St. Paul gesehen hatte, als er mit Cranston bei
Geoffrey Parchmeiner gewesen war. Ihre Bettelschalen! Athelstan
blieb mitten auf der Lad Alley stehen. »O mein Gott!«
wisperte er. »Oh, um der himmlischen Barmherzigkeit
willen!« Der weiße Kalkstaub, den er nach der Messe an
seinen Fingern bemerkt hatte, nachdem er die heilige Hostie durch
die Lepraspalte nach draußen geschoben hatte … Dem
Bruder wurde plötzlich schwindlig, und er lehnte sich an eine
urinfleckige Mauer. Andere Erinnerungen kamen ihm.
»Natürlich!« flüsterte er. »Deshalb
wurde der Friedhof eine Zeitlang in Ruhe gelassen. Der Frost! Erst
als der Fluß wieder auftaute, konnten sie das, was sie
gestohlen hatten, verschwinden lassen!« Athelstans Gesicht
verzerrte sich vor Wut. »Diese Schweine«, zischte er.
»Diese verkommenen
Schweine!«        
    Er stapfte die Lad
Alley hinunter zu einer der belebten Hauptstraßen, die
parallel zum Fluß verliefen. Ein kleiner Junge, der einem
Ball nachlief, rutschte in dem eisigen Matsch aus und prallte gegen
ihn. Athelstan packte ihn so fest bei der Schulter, daß der
Junge schmerzlich das Gesicht verzog.
    »Pater, Pater,
das wollte ich nicht! Ehrlich!«
    Athelstan sah das
bleiche Gesicht des Kleinen. »Es tut mir leid«,
antwortete er sanft. »Ich wollte dir nicht weh tun. Hier,
mein Junge -
für einen Penny bringst du mich zum Haus des Doktor
Vincentius. Du kennst den Arzt?«
    Der Junge
schüttelte den Kopf, lief aber zu einem Ladenbesitzer, der ihm
den Weg erklärte. Dann führte er Athelstan durch eine
Gasse auf eine stille Straße mit großen
Fachwerkhäusern, an denen allerdings inzwischen die Farbe
abblätterte; ihre schmutzigen Fassaden erinnerten an bessere
Zeiten und vergangenen Wohlstand. Der Junge deutete auf das dritte
Haus; die Fensterläden waren verschlossen, aber die
große Haustür war frisch gestrichen und mit
glänzenden Stahlbändern verstärkt. Athelstan gab dem
Jungen den Penny und klopfte an die Tür, bis er von drinnen
schnelle Schritte hörte und der Riegel zurückgezogen
wurde. Ein junger Mann mit glatten, strähnigen Haaren
öffnete; er trug eine blaue cote-hardie mit einem Besatz aus
Eichhörnchenfell. Als er den Priester sah, riß er
erschrocken die Augen auf.
    »Bruder
Athelstan!«
    »Woher kennst du
meinen Namen, du Mistkerl?« schrie der Ordensbruder und
stieß ihn gegen die Wand. »Wo ist Doktor
Vincentius?«
    »In seiner
Kammer.«
    Athelstan wartete
nicht, bis der Bursche ihn hinführte, sondern lief den
weißgekalkten Steinkorridor hinunter und riß die
Tür am Ende auf. Vincentius saß hinter einem
großen Eichenholzschreibtisch in einem warmen, dunklen,
holzgetäfelten Zimmer. Athelstan sah Regale voller
Pergamentrollen und eine Tierkreiskarte an der

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