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Das Haus des roten Schlächters

Das Haus des roten Schlächters

Titel: Das Haus des roten Schlächters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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Selbstmitleid auf die Cheapside
hinaus. Er hatte gut und gern eine Viertelgallone Ale getrunken.
Athelstan war nicht gekommen; also würde er nach Hause gehen.
Er würde sich seine Frau vornehmen, wie sich das für
einen Mann gehörte, mit jähen Vorwürfen und scharfen
Fragen; aber er wünschte, der Bruder wäre gekommen. Er
hätte in so vielen Dingen gern seinen Rat
gehört.
    Cranston lehnte sich
an die Wand und blinzelte durch den Schankraum. Die neueste
Geschichte aus dem Tower war furchtbar. Er war hingegangen, um sich
Fitzormondes übel zerfleischten Leichnam anzuschauen: Das
halbe Gesicht war weggerissen und der Körper bis zur
Unkenntlichkeit verstümmelt. Cranston rieb sich die Wange.
Zunächst hatte Colebrooke das Ganze für einen
Unglücksfall gehalten.
    »Es war kurz
nach Einbruch der Dämmerung«, hatte der Lieutenant ihm
berichtet. »Fitzormonde war, wie es seine Gewohnheit war, zu
dem Bären gegangen. Gerade war noch alles friedlich, und im
nächsten Augenblick schien Satan persönlich aus der
Hölle hervorzubrechen. Der Bär riß sich los und
zerfleischte den unglücklichen Hospitaliter. Ich befahl die
Bogenschützen her, und der Bär wurde getötet.»
Colebrooke zuckte die Achseln. »Sir John, wir hatten keine
Wahl.«
    »War es ein
Unfall?« fragte Cranston. »Daß der Bär sich
losriß, meine ich?«
    »Erst dachten
wir es, aber als wir das Tier untersuchten, fanden wir das hier in
seinem Hinterteil.« Der Lieutenant gab Cranston einen kleinen
Armbrustbolzen von der Art, wie eine Dame ihn für die Jagd
benutzen würde.
    »Wer war zur
fraglichen Zeit im Tower?«
    »Alle«,
antwortete Colebrooke. »Ich, Mistress Philippa, Rastani, Sir
Fulke, Hammond, der Kaplan - alle, außer Master Geoffrey, der
in seinen Laden in der Stadt zurückgegangen war.«
Cranston hatte dem Lieutenant gedankt und war in das schäbige,
feuchte Leichenhaus neben St. Peter ad Vincula gegangen, wo
Fitzormondes zerfleischte Überreste aufgebahrt lagen, bis man
sie in ein leinenes Leichentuch nähte. Der Leichnam hatte
einen scheußlichen Anblick geboten, er war kaum mehr als ein
zerfetzter, blutiger Fleischklumpen gewesen. Cranston war so
schnell wie möglich gegangen, hatte alle, die er finden
konnte, vernommen, und war zu dem Schluß gekommen, daß
der Armbrustbolzen von einem versteckten Schützen abgeschossen
worden sein müsse: Davon zur Weißglut gereizt, hatte der
Bär seine Kette zerrissen und Fitzormonde
angefallen.
    Cranston schaute sich
noch einmal in der Schenke um und schloß dann seufzend die
Augen. Gab es wirklich keine Lösung für dieses Problem?
Und wo, zum Teufel, blieb Athelstan? »Mylord
Coroner?«
    Cranston öffnete
die Augen. »Wo hast du gesteckt, Mönch? Und weshalb
grinst du so?«
    Athelstan
lächelte und rief dem Wirt zu: »Zwei Becher von deinem
besten Bordeaux. Deinem allerfeinsten.« Er setzte sich hin
und strahlte Sir John an. »Mylord Coroner, ich habe
Neuigkeiten für Euch.«

13. Kapitel
    Sir John Cranston
saß auf dem hochlehnigen Stuhl in seiner geräumigen
Küche und schaute liebevoll Lady Maude an, die am Tisch stand
und Gläser mit kandierten Früchten füllte. Er hatte
Athelstans Geschichte kaum glauben können, wenigstens nicht
sofort. Erst nach drei weiteren Bechern Bordeaux hatte es ihm
gedämmert, und Athelstan hatte ein paarmal wiederholen
müssen, was er von Doktor Vincentius erfahren hatte. Endlich,
dachte Cranston, ergibt das alles einen Sinn …
    Er warf einen
verstohlenen Blick auf die Taille seines Weibes und sah, daß
die voluminösen Röcke jede Rundung verbergen würden;
selbst Lady Maudes Nachthemden waren wattiert, und der Gedanke an
ein weiteres Kind war ihm einfach nie gekommen. Nachdem Matthew vor
so langer Zeit mit drei Jahren an der Pest gestorben war, hatte
Cranston alle Hoffnung auf einen Erben aufgegeben. Er trommelte mit
den Fingern auf der Armlehne. Lady Maude sah seinen Blick und
schnupperte an einem Glas, um ihre Verwunderung über Sir Johns
plötzlichen Stimmungsumschwung zu verbergen. Sollte sie es ihm
jetzt erzählen? überlegte sie. Oder sollte sie, wie
geplant, bis Weihnachten warten?
    Lady Maude war wie vom
Donner gerührt gewesen, als ihre Monatsregel ausgeblieben war;
eine Freundin hatte ihr Doktor Vincentius empfohlen. Der Arzt hatte
ihre Hoffnungen bestätigt und ihr geraten, was sie essen und
trinken und daß sie behutsam mit sich umgehen sollte. Sir
Johns amouröse Annäherungen mußte sie
zurückweisen, konnte ihm aber nicht sagen, warum. Erst
mußte

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