Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus des roten Schlächters

Das Haus des roten Schlächters

Titel: Das Haus des roten Schlächters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
Vom Netzwerk:
glichen tatsächlich Pißlöchem im
Schnee, wie Cranston sie treffend beschrieb. Die Nase des Mannes
hatte Athelstan schon immer fasziniert. Sie war gebrochen und
leicht verbogen und verlieh Bladdersniff ein etwas komisches Aussehen, das
schlecht zu der bombastischen Wichtigtuerei paßte, mit der
der Bursche aufzutreten pflegte. Athelstan winkte ihn müde in
die Kirche.
    »Master
Bladdersniff, Ihr seid bestimmt gekommen, um zu besprechen, weshalb
mein Friedhof geschändet und die Gräber beraubt werden,
ohne daß Ihr und der Bezirksrat irgend etwas dagegen
unternehmt?«
    Bladdersniff
schüttelte den Kopf und spähte über die Schulter in
die Dunkelheit des Kirchenvorraums.
    »Was ist, Mann?
Was gibt’s da drüben?«
    Der Büttel
klappte den Mund auf und zu wie ein gestrandeter Karpfen, und
Athelstan schaute aufmerksamer hin. Der Kerl sah aus, als wolle er
sich gleich übergeben. Sein bleiches Gesicht war grünlich
überhaucht, und die dunklen Augen waren wäßrig, als
ob Bladdersniff heftig gewürgt hätte.
    »Um Himmels
willen, Mann, was ist los?«
    Wieder schaute der
Büttel nach hinten ins Dunkel.
    »Es ist wegen
Tosspot«, flüsterte er.
    »Was?«
    »Tosspot! Oder
wenigstens ein Teil von ihm.« Bladdersniff bedeutete dem
Priester, ihm zu folgen.
    Athelstan nahm sich
einen Kienspan und ging hinter dem Büttel her, der in einer
dunklen Ecke des Kirchenvorraums vor einem schmutzigen Stück
Leinwand stehenblieb. Bladdersniff zog den Stoff beiseite, und
Athelstan wandte sich angeekelt ab. Da lag das Bein eines Mannes,
ein Teil davon wenigstens, so säuberlich und glatt über
dem Knie abgeschnitten wie ein Stück Stoff von einem
erfahrenen Schneider. Athelstan starrte den blutigen Stumpf und die
fleckige Haut an.
    »Gütiger
Gott!« hauchte er, und der Gestank der Verwesung von dem
etwas aufgedunsenen Fleisch drang ihm in die Nase. »Deckt das
zu, Mann! Deckt es zu!«
    Athelstan löschte
seinen Kienspan, ging zur Kirche hinaus und blieb an der Treppe stehen; er
atmete die frische Morgenluft in tiefen Zügen. Hinter sich
hörte er Bladdersniff.
    »Wie kommt Ihr
darauf, daß das Tosspot gehörte?«
    »Ihr erinnert
Euch bestimmt, Pater, daß Tosspot seiner Kundschaft in der
Schenke immer von seiner alten Kriegsverletzung erzählt hat,
einer Pfeilwunde im Bein. Dauernd zeigte er seine Narbe herum wie
eine Reliquie.«
    Athelstan nickte.
»Aye. Das tat der alte Tosspot immer, wenn er betrunken
war.« Er sah den Büttel an. »Und dieses Bein
trägt die gleiche Narbe?«
    »Ja, Pater,
unter dem Knie.«
    »Wo wurde es
gefunden?«
    »Wollt Ihr es
sehen?«
    »Ja.«
    Bladdersniff
führte ihn die Bridge Street hinunter, über die Jerwald
hinweg und in die Longfish Alley, die hinunter zur Broken Wharf am
Fluß führte. Unterwegs sprach Athelstan kein Wort, und
die Leute, die ihn kannten, traten beiseite, als sie den
wildentschlossenen Ausdruck in dem sonst so sanften Gesicht des
Priesters sahen.
    Athelstan bemerkte
kaum etwas außer dem schmutzigen Schlamm auf den
Straßen, durch die sie kamen. Er ignorierte jeden Gruß
und schien die Händler und Höker, die hinter ihren
wackligen Ständen nach Kundschaft schrien, gar nicht
wahrzunehmen. Selbst die stramm in den Block geschlossenen Gauner
am Pranger erregten diesmal nicht sein Mitgefühl, und auch
Bladdersniff behandelte er, als sei der Büttel nicht
vorhanden. Athelstan fühlte sich von Herzen krank. Wer konnte
dem Leichnam des armen Tosspot so etwas antun?
    Sie erreichten die
Broken Wharf oberhalb des Flußufers; Bladdersniff nahm den
Ordensbruder beim Arm und deutete hinunter auf die schmutzigen
Schlickbänke, wo Möwen und Krähen sich um den
angeschwemmten Müll balgten. Athelstan schaute auf die Themse. Das
Wasser war so schmutzig und dunkel wie seine eigene Stimmung. Immer
noch trieben große Eisschollen vorbei, krachten kreiselnd
aneinander und prallten donnernd gegen die Bogenpfeiler der London
Bridge.   
    »Wo habt Ihr es
gefunden?«
    »Da unten,
Pater«, antwortete Bladdersniff knapp. »Im Schlick, in
ein Stück Leintuch gewickelt. Ein Bengel, der nach Treibholz
suchte, hat es gefunden und zu einem der Händler gebracht, der
Tosspots Narbe wiedererkannte.« Der Büttel hustete
nervös. »Ich habe von den Grabräubereien auf Eurem
Friedhof gehört.«
    »Ach ja? Das
freut mich aber«, sagte Athelstan mit falschem Lächeln.
»Glaubt Ihr, das Bein wurde angeschwemmt?«
    »Ja. Zu jeder
anderen Zeit hätte der Fluß es fortgetragen. Aber der
schwere Eisgang hat die

Weitere Kostenlose Bücher