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Das Haus des roten Schlächters

Das Haus des roten Schlächters

Titel: Das Haus des roten Schlächters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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Wand; es duftete
nach Kräutern und Gewürzen, und ein kleines Holzfeuer
knisterte munter im Kamin. Der Doktor erhob sich. Seine dunklen
Augen blickten wachsam, aber ein Lächeln überzog das
braune Gesicht.
    »Bruder
Athelstan! Was gibt es? Was wünscht Ihr
…?«
    »Zuerst
dies!« Athelstan gab dem Doktor einen heftigen Stoß;
Vincentius flog rückwärts gegen die Wand, stieß
einen kleinen Tisch um, und ein gelber
Schädel fiel krachend auf den von Karten übersäten
Boden. Der Doktor rappelte sich auf und betupfte eine Wunde am
Mundwinkel. Seine dunklen Augen machten sich über den Priester
lustig.
    »Ihr wirkt
erzürnt, Pater?«
    Athelstan hörte
den jungen Mann hinter sich.
    »Es ist schon
gut, Gidaut«, murmelte Vincentius. »Aber wir sollten
wohl wieder einmal packen.«
    Athelstan funkelte den
Arzt an, während sich hinter ihm leise die Tür
schloß.
    »Ihr seid ein
Hund, Doktor! Ein Ketzer! Ein Grabschänder! Ich habe gerade
gesehen, was vom Leichnam des armen Tosspot übrig ist. Wenn
der Bezirksaufseher einen Funken Verstand hätte, wäre er
mit der Stadtgarde schon hier. Nur ein erfahrener Arzt könnte
ein Bein so sauber abtrennen.« Er trat näher an das
Schreibpult heran. »Und lügt jetzt nicht! Ihr und Eure
Kreatur da draußen …« Athelstan deutete auf die
Tür. »Ein gerissenes Paar. Gekleidet wie
Aussätzige, mit Gesichtsmasken aus kalkbestäubter
Tierhaut - so habt Ihr bei Tag auf meinem Friedhof gehaust und
gesehen, was da vor sich ging. Und nachts kamt Ihr dann
natürlich zurück und habt Euch geholt, was Ihr
wolltet.« Athelstan atmete schwer. »Gott verzeihe
mir«, sagte er leise, »ich bin nicht besser als andere
Menschen. Wißt Ihr, daß einer, der für
aussätzig erklärt wird, an seiner eigenen Totenmesse
teilnimmt? Wir betrachten ihn dann schon als tot, und ich habe es
genauso gemacht. Die Aussätzigen in meinem Kirchhof waren
Schatten für mich, wandelnde Lumpenbündel. Nur eines
fehlte: Ich habe sie nie mit einer Bettelschale gesehen, und das
ist mir erst heute morgen klargeworden.« Er funkelte den Arzt
an. »Ihr hättet wirklich besser aufpassen sollen,
Vincentius. Ihr habt die Leichen gestohlen, und wenn Ihr fertig
wart, habt Ihr, was von ihnen übrig war, in die Themse
geworfen. Aber der Fluß ist träge. Heute morgen sind die
grausigen Überreste Eures makabren Treibens wieder ans Ufer
getrieben worden.«
    Der Arzt stand immer
noch mit dem Rücken zur Wand und beobachtete den Priester
wachsam. »Ihr seid höchst scharfsichtig, Bruder. Das hat
Benedicta mir schon erzählt.«
    Athelstan zuckte
zusammen, als er den Blick des Arztes sah. »Aye«, sagte
er und ließ sich auf einen Schemel fallen. »Aber ich
hätte noch schärfer hinschauen müssen. Ich habe
Kreide an meinen Fingern gefunden, nachdem ich die Hostie durch den
Lepraspalt gereicht hatte.« Zornig starrte er den Arzt an.
»Das ist ein Sakrileg, wißt Ihr das? Die Heilige
Eucharistie zur Tarnung für Euer gotteslästerliches Tun
zu benutzten. Ja«, seufzte er, »ich hätte
aufmerksamer sein müssen. Nie habe ich Euch mit einer
Bettelschale gesehen, und ich kann mich auch nicht erinnern, Euch
je auf den Straßen rings um die Kirche begegnet zu
sein.« Er stand auf. »Ihr habt gegen das Gesetz Gottes
und das des Königs verstoßen. Ich gehe, aber ich komme
mit der Stadtgarde zurück. Heute abend seid Ihr in Newgate und
bereitet Euch auf Euren Prozeß vor dem Oberhofgericht in
Westminster vor.«
    »Benedicta hat
mir außerdem erzählt, Ihr wäret ein toleranter
Priester. Wollt Ihr mich überhaupt nicht fragen, warum,
Pater?« erwiderte Vincentius leise. Er wirkte plötzlich
erschrocken und voller Angst. »Ich habe Unrecht getan«,
sagte er leise und ließ sich auf einen Stuhl fallen.
»Aber wem habe ich denn geschadet? Nein, nein.« Er
brachte Athelstan mit einer Handbewegung zum Schweigen.
»Hört mir zu. Ich habe in Bologna Medizin studiert, bei
den Arabern in Spanien und Nordafrika und an der großen
Schule der Medizin in Salerno. Aber wir Ärzte wissen gar
nichts, Pater, außer wie man Blutegel ansetzt und einen
Menschen ausbluten läßt.« Vincentius
verschränkte die Finger und stützte die Ellbogen auf den
Schreibtisch. »Über den menschlichen Körper
können wir nur dann etwas lernen, wenn wir ihn
öffnen.
    Jedes einzelne Teil
sezieren, die Position des Herzens studieren, den Kreislauf des
Blutes, die Zusammensetzung der Magenwände. Aber das verbietet
die Kirche.« Er hob eine beringte Hand. »Ich
schwöre, ich wollte

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