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Das Haus des roten Schlächters

Das Haus des roten Schlächters

Titel: Das Haus des roten Schlächters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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nicht ungehorsam sein, aber meine
Sehnsucht nach medizinischem Wissen, Pater, ist genauso groß
wie die Eure nach der Errettung der Seelen. Und wohin könnte
ich gehen? Zu den Richtstätten oder auf die Schlachtfelder, wo
die Leichen bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt sind? Da kam
ich nach Southwark, denn es liegt außerhalb der
städtischen Gerichtsbarkeit. Ja, ja.« Er sah den
Ärger in Athelstans Blick. »In eine arme Gemeinde, wo
niemand sich darum kümmerte - so wenig wie um die
ausgehungerten Kinder auf den Straßen rings um die
Kirche.« Vincentius spielte mit einem kleinen Messer.
»Ich fing an, einen Leprakranken zu spielen, um auf dem
Friedhof spionieren zu können. Aber ich habe nur Leichen
genommen, auf die niemand einen Anspruch
erhob.«   
    »Ich habe
Anspruch auf sie erhoben!« schrie Athelstan. »Gott hat
Anspruch auf sie erhoben. Die Kirche!«
    »Ja, ich habe
die Leichen gestohlen«, fuhr Vincentius fort, »und ich
habe sie seziert. Gidaut und ich haben sie nachts in den Fluß
geworfen, aber als der große Frost kam, mußten wir
aufhören.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe
Unrecht getan, aber wollt Ihr mich deshalb hetzen? Ich habe hier
gute Arbeit geleistet, Priester. Geht hinaus auf die Straßen
von Southwark und sprecht mit der Mutter, der ich eine Zyste
lanciert habe. Fragt den kleinen Jungen, der wieder klar sehen
kann. Den Arbeiter, dem ich das gebrochene Bein gut gerichtet habe.
Und wenn ich hänge, Bruder, was dann? Wen wird das
interessieren? Die Armen werden weiter sterben, und die Ärzte
in der Cheapside, die ihren Patienten Geld und Gesundheit abnehmen,
werden in die Hände klatschen, wenn sie mich am Strick tanzen
sehen.«
    Athelstan ließ
müde den Kopf hängen.
    »Ich will Euren
Tod nicht«, sagte er. »Ich will, daß die Toten
auf meinem Friedhof so liegenbleiben, wie Gott es von ihnen
erwartet. Ich will, daß Ihr verschwindet, Doktor.« Er
stand auf und klopfte sich den Staub von seiner Kutte. »Es
tut mir leid, daß ich Euch geschlagen habe.« Er starrte
Vincentius an. »Aber Ihr müßt von hier
verschwinden. Ich weiß nicht, wohin, und eigentlich ist es
mir auch egal, aber ich will, daß Ihr binnen einer Woche die
Stadt verlaßt.« Athelstan fühlte sich
plötzlich erschöpft und matt, und er merkte, daß er
seit langem nicht mehr gegessen hatte. »Es tut mir leid,
daß ich Euch geschlagen habe«, wiederholte er,
»aber ich war zornig.« Plötzlich fiel ihm ein,
daß Cranston auf ihn wartete, und er sah den Doktor an.
»Ach ja«, sagte er, »einen Gefallen schuldet Ihr
mir noch.«
    Vincentius lehnte sich
zurück. »Welchen, Pater?«
    »Genaugenommen
sind es zwei. Erstens, Ihr hattet hier eine Besucherin - Lady Maude
Cranston. Warum ist sie gekommen?«
    Vincentius grinste.
»Lady Maude ist zwar schon im dreißigsten Jahr, aber
sie ist enceinte.«
    Athelstan starrte ihn
ungläubig an. »Sie ist schwanger?«
    »Ja, Priester.
Etwa im zweiten Monat. Sie und das Kind sind gesund, aber sie hat
Angst, daß Sir John ihr nicht glauben könnte. Sie will
ihn nicht enttäuschen. Sie haben wohl vor einigen Jahren schon
ein Kind verloren.«
    Athelstan nickte, und
der Arzt genoß die Verblüffung des Priesters.
    »Sie hat mir von
Sir John erzählt. Ich habe ihr geraten, bei den Freuden des
Fleisches äußerst vorsichtig zu sein. Ihr Gatte ist
anscheinend ein Berg von einem Mann?«
    »Aye.«
Athelstan war immer noch wie vom Donner gerührt. »Das
ist Sir John allerdings.«
    »Und wie lautet
der zweite Gefallen, Pater?«
    »Ihr habt in
Outremer gedient?«
    »Ja. Eine
Zeitlang habe ich in Krankenhäusern in Tyrus und Sidon
praktiziert.«
    »Wenn Ihr dort
jemandem begegnet seid, wie habt Ihr ihn
gegrüßt?«
    Jetzt machte der Arzt
ein überraschtes Gesicht. »Schalom«, antwortete
er. »Das ist der übliche semitische Ausdruck für
Friede sei mit Euch.«
    Athelstan hob die
Hand. »Doktor Vincentius, ich sage Euch Lebewohl. Wir werden
uns sicher nicht
Wiedersehen.«     
    »Priester?«   
    »Ja,
Arzt?«
    »Freut es Euch,
daß ich fortgehe, weil ich Unrecht getan habe oder freut es
Euch, daß ich die Witwe Benedicta nicht wiedersehe? Ihr liebt
sie, nicht wahr? Ihr mit Euren heftigen Angriffen gegen
andere!«
    »Nein, ich liebe
sie nicht!« fauchte Athelstan. Aber während er die
Tür hinter sich schloß, wußte er, daß er,
wie der heilige Petrus, die Wahrheit leugnete.
    *
    Sir John Cranston,
Coroner der Stadt, hockte mit trübem Blick in der Schenke Zum
Heiligen Lamm und starrte voller

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