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Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Erdrich
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zusammengebraut – plötzlich wollte ich nur weg von meinem Vater, und von meiner Mutter auch, wollte ihr Spinnennetz aus Schuld und Schutz und ekelerregenden Gefühlen zerfetzen.
    Ich muss los.
    Eine Zecke krabbelte an meinem Bein hoch. Ich hob mein Hosenbein ein Stück, fing sie und riss sie mit den Fingernägeln mitten durch.
    Na gut, sagte mein Vater leise. Wo soll es denn hingehen?
    Irgendwohin.
    Joe, sagte er behutsam. Ich hätte sagen sollen, dass ich stolz auf dich bin. Ich bin stolz darauf, wie sehr du deine Mutter liebst. Darauf, was du alles rausgefunden hast. Aber verstehst du, Joe, wenn dir etwas zustoßen würde, dann würden deine Mutter und ich … wir könnten das nicht ertragen. Du schenkst uns Leben …
    Ich sprang auf. Gelbe Flecken pulsierten vor meinen Augen.
    Ihr habt mir das Leben geschenkt! So rum gehört es doch. Also lasst mich damit machen, was ich will!
    Ich rannte zu meinem Fahrrad, sprang auf und radelte an ihm vorbei. Er streckte die Arme nach mir aus, aber ich wich im letzten Moment aus und beschleunigte, bis ich außer Reichweite war.
    * * *
    Ich wusste, dass mein Vater bei Clemence und Edward anrufen würde. Die Tanke fiel aus demselben Grund aus. Cappys und Zacks Eltern hatten beide Telefone. Blieb nur noch Angus. Ich radelte direkt zu ihm und traf ihn hinter dem Haus, wo er gerade die Bierdosenausbeute vom Abend davor plattdrückte. Hamm’s waren keine dabei. Angus hatte eine Schramme auf der Wange und eine dicke Lippe. Tante Star holte nämlich manchmal den Gürtel raus. Und Elwin hatte, wenn er betrunken war, diese hinterfotzige Art, Angus aufzulauern und ihm ein paar zu klatschen – Elwin lachte sich halb tot dabei. Wir hofften, dass er es irgendwann ganz tun würde. Außerdem gab es ein paar Jungs, denen Angus’ Haar nicht passte oder was es gerade war. Angus freute sich, mich zu sehen.
    Wieder diese Arschlöcher?
    Nee, sagte er. Also musste es seine Tante oder Elwin gewesen sein.
    Während ich Angus half, auf dem brettharten Erdboden hinter dem Haus die Dosen plattzutreten, erzählte ich ihm alles, was ich von meinem Vater und Edward über den Priester gehört hatte.
    Wenn wir bloß rausfinden könnten, ob der Hamm’s trinkt, sagte ich. Trinken Priester überhaupt?
    Ob die trinken?, sagte Angus. Scheiße, ja. Mit dem Messwein glühen sie vor, und dann belacken sie sich jede Nacht.
    Jedes Mal, wenn Angus eine der Dosen plattstampfte, hob sich sein Haar wie eine braune Matte in die Luft. Er hatte ein rundes Gesicht und unschuldige lange Wimpern. Und er hatte ein schräges Durcheinander von großen, glänzenden, gefährlich wirkenden Zähnen. Seine geschwollene Unterlippe legte sie zu einem unbeholfenen Grinsen frei.
    Ich will zur Messe, sagte ich.
    Angus erstarrte mit hoch erhobenem Fuß. Was? Zur Messe? Wieso das denn?
    Ist heute noch Messe?
    Klar, um fünf. Das könnten wir gerade noch schaffen.
    Angus’ Tante war genauso fromm wie Clemence, aber ich hatte meine Zweifel, ob sie beichtete, wie sie Angus verdrosch.
    Wir könnten uns diesen Priester näher ansehen, sagte ich.
    Father Travis.
    Genau.
    Okay, Mann.
    Angus ging in Stars Wohnung und holte den Fahrradsattel für sein rosa BMX. Er machte ihn mit einer Schraube an der Hohlstange fest. Den Schraubenschlüssel steckte er in die Tasche. Den Trick und den Schlüssel hatte er von Whitey übernommen, als ihm sein zweites Fahrrad geklaut worden war. Wenn dir noch mal einer das Rad klaut, kriegt er wenigstens den Arsch aufgerissen, hatte Whitey gesagt. Wir fuhren los, radelten einen Umweg knapp außer Sichtweite der Tankstelle und schafften es gerade noch zu Beginn der Messe bis zur Kirche zum Heiligen Herzen. Ich folgte Angus’ Beispiel, bekreuzigte mich und nahm Platz. Wir setzten uns in die vorderste Bank. Ich hatte mir vorgenommen, den Priester kühl und objektiv zu beobachten, so wie Captain Picard einen mörderischen Ligonianer ins Auge fassen würde, der die Sicherheitschefin Lieutenant Tasha Yar entführt hatte. Ich setzte Picards unbewegten und doch wachsamen Blick auf, als sich beim Glockengeläut alle Kirchgänger von den Sitzen erhoben. Ich dachte, ich hätte mich vorbereitet. Aber als Father Travis dann hereinrauschte in seiner grünen Robe, die wie eine grobe Decke aussah, blähte sich mein Kopf wie ein Ballon und füllte sich mit Bienen.
    Hey, Starboy, mein Kopf brummt wie ein Scheißbienenstock, flüsterte ich Angus zu.
    Still jetzt, zischte er.
    Die kleine, ungefähr zwanzigköpfige Versammlung

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