Das Haus im Moor
erkennt ihrem Wert trotzdem.«
Das war ein verstecktes Kompliment, ein irisches Kompliment. Wahrscheinlich hatten sie über sie gesprochen … Noblesse. Ein nettes Kompliment. Oder etwa nicht? Constance vermutete, daß Sean O’Connors Vorstellung von Noblesse eine andere war als die seiner Frau. Er würde dieses Etikett jedem verpassen, der Geld hatte, und sie wußte, daß er den Eindruck hatte, sie sei reichlich damit ausgestattet.
Während sie den Hügel hinuntergingen, sagte Biddy: »Wenn Ihr Mann zurückkommt, wird alles fertig sein«, und Constance nickte stumm.
»Hannah sagt immer, der beste Weg, einen Mann loszuwerden, ist, ihm Arbeit aufzuhalsen …«
Biddy warf Constance, die gezwungen lächelte, einen Blick zu.
»Ist Ihr Sohn noch in der Schweiz, Mrs. Stapleton?«
Constance antwortete ernst: »Nein, Biddy. Er … er müßte jetzt in Deutschland sein. Wahrscheinlich wandert er gerade durch den Schwarzwald.«
Die fünfzehnjährige Biddy hatte offenbar eine spezielle Vorliebe für Peter entwickelt, aber sie würde ihn nicht mehr wiedersehen, da sie zu einer entfernten Cousine ihrer Mutter nach Hexham fuhr, um dort in einem Stoffgeschäft zu arbeiten.
Als sie durch die Lücke in der Mauer traten, trug Hannah gerade ein Tablett mit einer kleinen Teekanne und einer Tasse über den Hof. Sie war auf dem Weg zu Vins Werkstatt.
Constance war neugierig auf diese Werkstatt. Sie wußte nicht, was Vincent O’Connor dort tat. Bis jetzt hatte sie ihn noch nicht danach gefragt. Anständiges Benehmen bedeutete eben auch das Zügeln der Neugier.
Hannah rief ihr zu: »Sie müssen doch völlig fertig sein! Gehen Sie schon rein. Ich komme sofort.«
Constance lächelte zu der Frau hinüber. Sie mochte Hannah. Sie wußte immer noch nichts über ihre Position im Haushalt der O’Connors oder darüber, wer sie überhaupt war. Aber eins war sicher: Alle schienen sie zu brauchen, denn immer rief jemand »Hannah! Hannah!«
Die Küche war voll. Die Männer saßen mit Sean an einem Ende des Tisches. Die Kinder scharten sich um den Kamin. Florence O’Connor stellte große, mit Butter bestrichene Brotscheiben auf den Tisch, und als Constance eintrat, fragte sie: »Haben Sie’s geschafft?« Constance antwortete: »Ja, und ich bin sehr froh darüber.«
»Sie hat ganz tolle Möbel, Mutter«, berichtete Davie über das Stimmengewirr hinweg. Er war schon dreizehn und hatte noch zwei jüngere Brüder, aber er war der Kleinste der O’Connors.
Als seine Mutter streng sagte: »Das heißt nicht ›sie‹ sondern ›Mrs. Stapleton‹, Davie«, sah er Constance mit seinen runden, schwarzen Augen an und antwortete: »Ach, das macht ihr nichts aus. ›Mrs. Stapleton‹ ist viel zu lang. Wir müssen einen anderen Namen für sie finden.« Alle fingen an zu lachen, und Constance lachte mit. Hier war alles so einfach, jeder war so offen! Sie kam sich vor wie in einer anderen Welt.
Sie trank gerade dankbar ihren Tee, als Hannah in die Küche kam und die Kinder anherrschte: »Los, bewegt euch! Die ganze Bande sitzt hier herum wie die Flöhe im Pelz. Kommt! Kommt! Hoch mit euch.« Sie packte Joseph am Kragen, gab Michael einen Klaps auf den Kopf, und obwohl sie murrten und sagten: »Mensch, Hannah, hör schon auf! Laß doch!«, gehorchten sie ihr.
»Holz will ich hier sehen« – sie stieß Michael einen Finger in die Brust – »und vergeßt nicht zu baden. Und ihr beide, Davie und Joseph, ihr schleppt das Wasser nach oben.«
Unter Protesten und Lachen verließen alle, auch Biddy und Moira, den Raum, und Constance wunderte sich wieder einmal darüber, daß diese Frau die Kinder herumkommandierte, ohne daß ihre Mutter einschritt. Sie hatte damit gerechnet, daß Florence O’Connor wenigstens sagen würde: »Ach, laß die Mädchen bleiben, sie haben so hart gearbeitet.« Aber das tat sie nicht, und Hannah scheuchte die Kinder einfach hinaus.
Die Männer standen ebenfalls auf, und Constance ging mit ihnen zum Haus zurück. Sie gab allen ein Trinkgeld, und die Möbelpacker verabschiedeten sich mit guten Wünschen. Dann war sie allein in Shekinah.
Sie sah sich in dem langen Raum um. Heute Nacht würde sie allein hier schlafen müssen. Sie teilte schon seit Jahren ihr Bett mit niemandem mehr, aber es war zumindest immer jemand im Haus gewesen. Vor zwei Tagen war Jim zu seinem Verleger gefahren, und er würde nicht vor morgen zurück sein. Vielleicht würde er nicht einmal hierher kommen. Was würde passieren, wenn er sich weigerte, sich
Weitere Kostenlose Bücher