Das Haus in den Dünen
aufpassen«, antwortete die Kollegin spitz.
»Ich werde sofort die Verlegung veranlassen«, antwortete Trevisan, »vorausgesetzt, sie ist transportfähig.«
»Sie ist es, aber rufen Sie in Lingen im Vollzugskrankenhaus am besten sofort an. Die haben nicht so viele Betten.«
»Lingen, klar«, antwortete Trevisan. »Ich werde mich gleich darum kümmern.«
Trevisan beendete das Gespräch. Nachdenklich starrte er den Telefonhörer an. Normalerweise empfand er so etwas wie Erleichterung, wenn sich eine Ermittlungssache dem Ende zuneigte und der oder die Täter dingfest gemacht waren. Jetzt spürte er nur eine große Verunsicherung. Hatte er wirklich die Mörderin von Hans Kropp verhaftet?
*
Willo Brunken tankte nach der langen Tour seinen Lastwagen wieder auf. Heute war er über Oldenburg, Hannover und Emden nach Aurich gefahren. Dort hatte er den Rest der Ladung abgeliefert und war kurz vor sieben Uhr in den Ölhafen zurückgekehrt. Diesmal war er nicht alleine auf Tour, ein Neuer begleitete ihn. Er wusste nur, dass der Neue Jens hieß und von Berlin nach Wilhelmshaven gekommen war. Der Disponent hatte ihn als zweiten Fahrer auf seiner Tour eingeteilt, damit ihn Willo einlernen konnte.
»Und wenn wir den Tank voll haben, dann stellen wir den Laster auf den Stellplatz zurück und geben die Papiere und den Schlüssel im Büro ab«, erklärte Willo, der lässig am Führerhaus lehnte, während Jens die Zapfpistole zurück in die Zapfsäule steckte. »Morgen früh bei Schichtbeginn ist der Auflieger wieder gefüllt. Die Nachtschicht bereitet alles vor. Wir fahren meist nur.«
Jens nickte. »In meiner früheren Firma mussten wir den Tankwagen selbst füllen. Das hat uns der Chef nicht bezahlt. Beinahe jeden Tag eine Stunde, die wir umsonst gearbeitet haben.«
»Hier ist es anders«, erklärte Willo. »Man wird fair behandelt. Und kommt man mal mit seiner Zeit nicht aus, kann man die Überstunden auch schon mal abfeiern und einen Tag frei machen. Ganz nach Auftragslage.«
Jens säuberte sich seine Hände und umrundete den LKW. »Ich habe es nicht mehr länger eingesehen und den Job hingeschmissen«, sagte er und nahm seinen Platz auf dem Beifahrersitz wieder ein.
»Das verstehe ich«, bestätigte Willo und stieg wieder ins Führerhaus. »Der Job ist sowieso schlecht bezahlt. Die großen Touren bringen mehr Geld, aber da ist man auch lange unterwegs.«
»Fahrer mit Gefahrgutführerscheinen werden gesucht, aber es ist immer das Gleiche«, entgegnete Jens. »Keine Spesen und die Bezahlung ist auch nicht gerade rosig. Ich bin zwei Jahre lang runter nach Spanien und Italien gefahren. Aber ich habe die Schnauze voll von den Übernachtungen in der Kabine.«
»Das kann ich verstehen.« Willo lenkte den Lastwagen rückwärts in die Parkbucht.
»Hast du nachher noch Lust, ein kleines Bierchen trinken zu gehen?«
Willo warf einen nachdenklichen Blick auf die Uhr im Cockpit. »Meine Frau ist schwanger. Ich muss zu Hause noch ein bisschen arbeiten. Das Kinderzimmer herrichten, verstehst du?«
»Nur kurz, ’ne halbe Stunde.«
Willo überlegte. Zögernd stimmte er zu. »Ein Bier, aber dann muss ich nach Hause.«
*
Sie erreichten Lingen kurz nach zwei Uhr. Sie waren mit dem Zug gefahren. Das Gefängniskrankenhaus lag in unmittelbarer Nähe des Bahnhofes. Jenny Kropp war am heutigen Morgen aus Hannover hierher verlegt worden.
Trevisan hatte Tina mitgenommen, manchmal war eine Unterhaltung von Frau zu Frau ertragreicher und Trevisan hatte der jungen Frau eine Menge Fragen zu stellen. Vorsichtshalber hatten sie im nahen Hotel Kolpinghaus zwei Zimmer angemietet. Paula würde heute wieder auf ihren Taschenrechner verzichten müssen. Aber er hatte ihr Geld auf den Küchentisch gelegt. Sicherlich bekam sie auch in Sande ein geeignetes Modell, um ihre Mathearbeiten bewältigen zu können. Tante Klara würde sich wieder um sie kümmern.
Laut telefonischer Rücksprache mit dem behandelnden Arzt der Gefängnisklinik war Jenny Kropp vernehmungsfähig. Auch die Kollegen in Hannover hatten bereits ihr Glück versucht. Sie hatten ihr gesagt, dass man sie festgenommen hatte, weil sie im dringenden Verdacht stand, ihren Exmann getötet zu haben. Jenny Kropp hatte nicht überrascht reagiert, aber sie hatte geschwiegen.
»Da drüben ist es«, sagte Trevisan, als sie den Bahnhof verlassen hatten, und wies in nördliche Richtung. Triste Gebäude aus rotem Backstein verbargen einen Teil ihres Antlitzes hinter traurigen, grauen
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