Das Haus in den Dünen
Mauern.
»Sollen wir zuerst zum Hotel fahren?«, fragte Tina.
Trevisan schüttelte den Kopf. »Je eher wir das hinter uns bringen, umso schneller sind wir wieder zu Hause. Wir deponieren die Koffer am Einlass. Ich bin sicher, da kommt nichts weg.«
Mit ihren Koffern und Reisetaschen im Schlepptau liefen sie über den Bahnhofsvorplatz. Zwei Taxifahrer beäugten sie misstrauisch. Vorbei an mehreren Lagerhallen gingen sie auf das grünlich gestrichene Stahltor zu. Die hohen Mauern waren an ihren Kronen mit Stacheldraht gesichert.
»Fünf Meter, schätze ich«, sagte Tina in das Schweigen.
»Was?«, antwortete Trevisan in Gedanken.
»Ich schätze, die Mauern sind fünf Meter hoch«, wiederholte Tina.
Trevisan hob den Kopf. »Vier, denke ich.«
Sie liefen an einem Parkplatz vorbei und blieben vor dem großen stählernen Schiebetor stehen. Eine kleine Tür befand sich rechts neben dem Rolltor, dort gab es auch eine Klingel. Vollzugskrankenhaus stand auf dem Klingelschild.
Nachdem Trevisan geläutet hatte, meldete sich in der Sprechanlage eine krächzende Stimme. Er stellte sich vor, und mit einem lauten Rattern setzte sich das Rolltor in Bewegung.
Sie betraten das Gefängnis. Links in einem niederen Backsteinbau saßen hinter dicken Glasscheiben zwei Vollzugsbeamte in Uniform. Trevisan legte seinen Dienstausweis in die kleine Schublade. Wenige Augenblicke später hatten sie in einem kleinen Zimmer ihre Koffer deponiert und einer der Justizbeamten führte sie über den Innenhof zum Hauptgebäude.
Jenny Kropp lag im zweiten Stock. Sie hatte ein Einzelzimmer im Trakt für Untersuchungsgefangene erhalten.
Der Stil des Gebäudes erinnerte Trevisan an das alte Krankenhaus in Wilhelmshaven. Nichts deutete darauf hin, dass es sich um ein Gefängniskrankenhaus handelte. Das Personal – bis auf den Justizbeamten, der sie führte – trug die übliche weiße Bekleidung. Bunte Bilder hingen an den Wänden. Sicherlich waren sie hier im Gefängnis entstanden. Malen als Therapie für den Ausdruck der Gefühle. Ein Bild fiel Trevisan besonders auf. Ein Wirrwarr von dunklen, bedrohlichen Farben, die sich um einen schwarzen Kreis rankten. Trevisan blieb einen Augenblick stehen.
»Hat eine total verdrehte Mörderin gemalt«, bemerkte der Vollzugsbeamte. »Sie hat ihren Mann und ihre beiden Kinder umgebracht. Anschließend ist sie zu ihren Eltern gefahren und wollte sie ebenfalls töten. Sie ist nicht mehr hier. Sie sitzt jetzt in der Psychiatrie.«
Der Justizbeamte führte sie in das Arztzimmer. Doktor Leuchs stand auf dem Türschild. Der Justizbeamte klopfte.
Doktor Leuchs war ein kleiner, dicker Mann um die sechzig. Seine Haare waren ihm ausgegangen, lediglich um seine Schläfen rankten sich noch einzelne graue Haarnester. Mit seiner runden, randlosen Brille wirkte er wie ein zerstreuter Professor.
»Ah, Sie kommen also wegen der Kropp«, sagte er, nachdem der Justizbeamte seine Begleiter vorgestellt hatte. »Sie liegt auf Zimmer 212. Sie hat zwei angeknackste Rippen und ihr linkes Bein gebrochen. Ansonsten ist sie wohlauf, wenn sie auch nicht viel spricht.«
»Wir können zu ihr?«, fragte Trevisan noch einmal.
»Vielleicht kriegen Sie ja was aus der raus«, entgegnete der Arzt. »Sie liegt nur da und starrt teilnahmslos an die Decke. Ich habe den Psychiat ern Bescheid gegeben. Ich habe keine Lust, einen Bericht zu schreiben, wenn sie uns aus dem Fenster springt.« Doktor Leuchs lächelte gefühllos.
Sie lag tatsächlich wie leblos in ihrem Bett. Sie schaute nicht einmal auf, als Trevisan zusammen mit Tina das Zimmer betrat. Ihr linkes Bein war hochgelegt und zugedeckt. Trevisan hätte viel dafür gegeben, einen Blick hinter ihre Stirn werfen zu können. Der Justizbeamte stellte zwei Stühle vor das Bett und verzog sich in eine Ecke. Er blätterte in einer Illustrierten, die dort auf einem Sideboard gelegen hatte.
Trevisan nahm Platz.
»Guten Tag, Frau Kropp«, sagte er leise. »Mein Name ist Martin Trevisan von der Kripo Wilhelmshaven und das ist meine Kollegin Tina Harloff. Wir bearbeiten den Mord an Ihrem Exmann. Sie wissen ja bereits, dass er umgebracht wurde, und ich denke, Sie wissen auch, weshalb Sie verhaftet wurden.«
Ihr Gesichtsausdruck blieb unverändert.
»Frau Kropp, hören Sie mich?«
Keine Reaktion.
Tina fasste an sein Handgelenk zum Zeichen, dass sie übernehmen wollte. Trevisan ging einen Schritt zur Seite.
»Mein Name ist Tina Harloff. Wir wissen, dass Sie in Wilhelmshaven waren, als Hans
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