Das Haus in den Dünen
eine Leere, die sich langsam wieder mit ihrer eigentlichen Aufgabe anfüllte.
Sie saß hinter dem Steuer ihres Wagens und hielt das kleine Tagebuch in ihrer Hand. Zitternd las sie in den Zeilen. Schließlich klappte sie das ledergebundene Buch zu und steckte es in die Reisetasche, die neben ihr auf dem Beifahrersitz lag.
Das Schicksal hatte ihr eine kurze Pause gegönnt, doch die war vorbei. Und ihre Entschlossenheit wuchs.
Sie schaute aus dem Seitenfenster und blickte über die weite See. Weit draußen schipperte ein Frachter vorbei. Es schien fast, als ob er still stand und dem Wind und den Wellen trotzte. Nur wenn man ihn eine Weile mit den Augen verfolgte, bemerkte man, dass er sich in Richtung Horizont bewegte.
Die Sonne verschwand langsam hinter den dunklen Wolken und das helle Licht des freundlichen Tages wich einer tristen Düsternis.
Sie wusste, langsam wurde es Zeit.
20
Den Taschenrechner hatte Trevisan vergessen, als er am Abend nach Sande fuhr. Er fluchte, als er es bemerkte. Paula würde ganz schön böse sein. Schließlich hatte sie ihn mehrmals daran erinnert. Aber er verwarf den Gedanken, noch einmal umzukehren. Bislang war sie gut auch ohne Taschenrechner ausgekommen. Auf einen Tag mehr oder weniger würde es nicht ankommen.
Trevisan parkte in der Einfahrt und betrat das stille Haus. Er schaute sich um und ging nach oben. Paulas Zimmertür war geschlossen. Trevisan klopfte, erhielt keine Antwort und griff zur Klinke. Doch die Tür war verschlossen. Verwundert zog er die Stirn kraus. Allerlei Bilder zogen an seinem inneren Auge vorbei. Paula hatte noch nie abgeschlossen und er wollte auch nicht, dass sie es tat. Hatte sie etwas zu verbergen? War sie alleine im Zimmer?
Er klopfte lauter. Es blieb ruhig und aus seinem Klopfen wurde ein Hämmern. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen.
»Was soll das?«, fuhr ihn Paula an.
»Ich dachte … ich bin … du hast abgeschlossen«, stammelte Trevisan.
»Ja, und?«
Trevisan schob die Tür auf. Das Bett war zerwühlt. Gehetzt blickte er sich um, doch außer Paula war niemand im Zimmer. »Warum hast du abgeschlossen?«
»Ich lerne«, entgegnete seine Tochter.
»Und dazu schließt du ab?«
»Latein. Mit dem Sprachprogramm. Ich wollte meine Ruhe.«
Trevisan atmete auf. »Ich dachte schon, dir wäre etwas passiert. Ich will nicht, dass du abschließt. Hast du kein Vertrauen zu mir?«
»Vertrauen? Was hat das damit zu tun?«
»Wenn jemand abschließt, dann hat er etwas zu verbergen …«
»… oder er will nicht gestört werden. Du bist hier nicht bei der Polizei.«
»Schon gut«, entgegnete Trevisan. »Einigen wir uns darauf, dass du künftig nicht mehr zusperrst. Wenn du deine Ruhe brauchst, dann häng doch einfach ein Schild an die Tür. Wir machen das im Büro auch. Dann weiß jeder, dass er nur stören darf, wenn es wirklich wichtig ist.«
»Das ist aber nicht deine Dienststelle hier«, erwiderte Paula patzig. »Übrigens, hast du meinen Taschenrechner?«
Trevisan zögerte.
»Du hast es vergessen«, fuhr ihn Paula an.
»Ich habe daran gedacht, aber … Ich besorge ihn morgen, ich verspreche es dir.«
»Ich hätte ihn aber morgen früh gebraucht, wir schreiben einen Test.« Paula wandte sich ab. »Ich hab mich auf dich verlassen. So viel zum Thema Vertrauen.« Sie warf sich auf ihr Bett und griff nach ihrem Kopfhörer.
»Paula … ich … es tut mir leid«, sagte er, aber sie setzte den Kopfhörer auf und drehte sich weg.
Unten klingelte das Telefon.
»Ich mache es wieder gut«, versprach Trevisan und lief hinunter, um den Hörer abzunehmen.
Es war der Kollege vom Bereitschaftsdienst. »Ich habe gerade ein Fax aus Hannover erhalten. Die Kollegen dort haben Jenny Kropp festgenommen. Du sollst zurückrufen.«
Trevisan war sofort hellwach. Er notierte die Telefonnummer und bedankte sich. Eilends wählte er. Die Stimme einer Frau ertönte am anderen Ende der Leitung. Trevisan verstand ihren Namen nicht.
»Mir wurde mitgeteilt, dass Jenny Kropp verhaftet wurde.«
»Richtig«, bestätigte die Kollegin. »Sie hatte einen Autounfall und liegt in der Klinik. Wir haben einen Kollegen vor ihrem Zimmer postiert. Sie ist schwer verletzt worden und hat mehrere Rippenbrüche und einen Beinbruch erlitten. Aber ansonsten ist sie ansprechbar und es geht ihr den Umständen entsprechend gut.«
»Sie sollte bewacht werden. Wir suchen sie wegen Mordes. Am besten wären zwei Kollegen direkt an ihrem Bett.«
»Wir können nicht ewig auf sie
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