Das Haus in den Wolken
Gil Vernon ist nicht irgendein dahergelaufener Streuner wie dieser Ãsterreicher. Die Vernons sind Leute wie wir. Und Sara wird im Mai einundzwanzig, selbst wenn wir unsere Zustimmung nicht gäben â wofür ich im Moment keinen Grund sehe â, könnte sie in ein paar Monaten heiraten.« Er schwieg einen Moment, ehe er drängend sagte: »Komm mit zurück nach London, Isabel. Sara kommt in ein oder zwei Tagen nach Hause â dann kannst du sie selbst fragen. Und der Junge â Gil â will sie in zwei Wochen besuchen.« Seine Stimme wurde weich. »Komm nach Hause, Isabel. Fahr mit mir nach Hause.«
»Ich kann nicht.«
»Doch, du kannst. Du brauchst nur ins Auto zu steigen, dann fahre ich dich heim.« Er war neben sie getreten und ergriff jetzt ihre Hand. Diesmal schreckte sie nicht vor der Berührung zurück. »Verzeih mir«, bat er.
»Ich weià nicht, ob ich das kann«, erwiderte sie schroff. »Verzeihen ist noch nie meine Stärke gewesen. Ich weià nicht, wie man das macht. Wenn ich dir verzeihe, heiÃt das, dass es mir nichts mehr ausmacht?«
»Aber nein. Natürlich nicht. Bitte versteh doch â«
»Nein«, sagte sie heftig. »Verstehen hilft gar nicht. So wenig wie alle Erklärungen. Sie ändern nichts daran, dass ich mir dumm, unerwünscht und alt vorkomme.«
» Isabel . An meinen Gefühlen für dich hat sich nie etwas geändert. Es wird dir vielleicht schwerfallen, das zu glauben, aber es ist wahr. Ich liebe dich so sehr wie am ersten Tag. Ich werde dich immer lieben. Nichts, was ich getan habe, nichts, was geschehen ist, wird daran etwas ändern. Komm mit nach Hause, Isabel. Wenigstens Sara zuliebe, wenn schon nicht um meinetwillen.«
Obwohl sie sich immer noch vorkam wie eine Gestrandete, in Gefahr, zu zerbrechen wie das Schiff auf den Felsen, sagte sie seufzend: »Also gut, ja, ich komme.« Als sie seine Erleichterung bemerkte, fügte sie hart und entschieden hinzu: »Aber es ist das letzte Mal, Richard. Wenn du mich noch einmal so demütigst, ist Schluss. Dann verlasse ich dich, das kannst du mir glauben.«
Als Philip, vielleicht eine Woche nach dem Treffen im Lyons, Elaine Davenport das erste Mal aufsuchte, tat er es nur, weil er sehen wollte, ob er sich tatsächlich zu ihr hingezogen fühlte oder ob er es sich nur eingebildet hatte. Jedenfalls redete er sich das ein.
»Spionieren Sie mir nach, Philip?«, fragte sie, worauf er mit den Schultern zuckte und irgendetwas Unverbindliches antwortete.
Er versuchte sich ihr fernzuhalten. Er arbeitete bis spätabends in der Firma, suchte bei Freunden und Freundinnen Ablenkung, machte riesige Touren mit dem Motorrad, betrank sich ein- oder zweimal fast bis zur Besinnungslosigkeit. Aber er konnte sie nicht vergessen. Er verstand nicht, warum er das Verlangen hatte, diese Frau zu sehen, die er so heftig verabscheute. Er verstand nicht, wie Abscheu und Verlangen so nahe beieinanderliegen konnten.
SchlieÃlich besuchte er sie doch wieder, nach der Arbeit in ihrem Laden. Sie zog die schmalen Augenbrauen hoch.
»Guten Abend, Philip.«
»Guten Abend.« Er wusste nicht, was er sagen sollte, und machte irgendeine alberne Bemerkung über das Wetter.
Es war sechs Uhr. Sie drehte das Schild in der Tür auf »Geschlossen«, und fragte: »Was wollen Sie, Philip?«
»Nichts.« Er ï¬ng an, sich darüber zu ärgern, dass er hergekommen war und sich lächerlich machte.
»Aha.« Sie war dabei, einen Hut in Seidenpapier einzupacken. »Wenn Sie nichts Besseres zu tun haben«, sagte sie, »können Sie mir vielleicht helfen, das Kleingeld zu zählen.«
Beim nächsten Besuch fragte sie nicht, warum er gekommen war. Es ï¬el ihm auf, und er machte sich Gedanken darüber. Sie hatte ihm gesagt, dass sie einsam sei. Vielleicht war ihr in ihrer gegenwärtigen Lage jeder Freund recht.
War er ihr fern, so lieÃen ihn die Erinnerungen nicht los. Er erinnerte sich ihrer glatten, hellen Haut und der sanften Rundung ihres Arms. Er erinnerte sich, wie sie ihren Körper bewegte, wie sie den Kopf zur Seite neigte, wenn sie lächelte, wie weich ihre Stimme war. Er erinnerte sich ihrer langen, schlanken Hände, als sie ihn verbunden hatte, ihrer Nähe â der Wärme und des Dufts ihrer Haut â, als sie die Wunde an seinem Kopf gereinigt hatte. Er erinnerte sich, wie sie sich
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