Das Haus in den Wolken
noch eine Zukunft zu haben, deshalb habe ich dich geheiratet. Und es war schon lange her gewesen, seit ich das zuletzt gedacht hatte.«
»Warum hast du mir nicht früher von Broughton und dem Kind erzählt, Isabel? Warum hast du es mir damals in Lynton nicht erzählt?«
»Was hättest du dann getan?«
»Ich weià es nicht, ehrlich gesagt.«
»Hätte es deine Meinung von mir verändert?«
»Wahrscheinlich«, gab er zu.
Das Dienstmädchen räumte den ersten Gang ab und servierte den zweiten. Richard sagte: »Sie können nach Hause gehen, Doreen. Und sagen Sie Mrs. Rogers, dass sie auch gehen kann.«
Als sie allein waren, sprach er sehr leise weiter. »Ich wollte dich entgegen aller Vernunft, Isabel. Es war nichts Rationales , was damals geschehen ist. Vielleicht hätte es mir überhaupt nichts ausgemacht.«
»Zu Anfang wusste ich nicht, ob ich dir trauen konnte. Ich hatte niemandem von Alï¬e oder von dem Kind erzählt. Keiner Menschenseele. Und vermutlich hatte ich mich auch an meine Geheimniskrämerei gewöhnt. Ich habe mich natürlich geschämt, furchtbar geschämt. Und als wir dann verheiratet waren, konnte ich es dir nicht mehr erzählen, weil ich wusste, dass ich es vorher hätte erzählen müssen. Je mehr Zeit verging, desto unmöglicher wurde es.«
DrauÃen begannen die Sirenen zu heulen. Richard blickte zum verdunkelten Fenster. »All das lässt einen vieles anders sehen, nicht wahr?«
Krieg und Kinder, dachte sie. Anfang und Ende. »Deshalb bin ich hier. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass du alleine bist, nachdem du gerade erst deine Fabrik verloren hattest. Vermutlich sind nicht mehr allzu viele Menschen übrig, die wissen, was das für dich bedeutet.«
»Nein«, sagte er. »Keiner auÃer dir.«
In einiger Entfernung hörte man das Krachen von Bomben. Sie sah Richard an. »Was tust du, wenn�«
»Normalerweise nichts. Wenn sie direkt über uns sind, können wir uns unter die Treppe zurückziehen. Wenn du jedoch lieber â«
»Nein.«
Er lächelte. »WeiÃt du noch? Als ich dich das erste Mal nach London mitnahm, hast du dich gefragt, ob ich dich in Wahrheit zu meiner Geliebten machen wolle.«
Sie lächelte ebenfalls, gedankenverloren. »Ja, ich sah mich schon in scharlachrotem Satin und Spitze in einem Liebesnest sitzen.«
»In einem Liebesnest â du meine Güte.« Ein schallendes Lachen.
»Darüber haben wir auch gestritten, nicht wahr?«
»Wir saÃen im Restaurant â«
»Freddie McCrory kam herein.«
»Ja. Ich hatte crêpes au citron bestellt. Aber wir haben sie nicht gegessen.«
»Nein«, sagte sie. »Haben wir nicht.« Sie hielt kurz inne. »An dem Abend habe ich versucht, dir von meiner Tochter zu erzählen, Richard. Aber schlieÃlich brachte ich es nicht fertig. Ich wollte dich nicht verlieren.«
Ein lauteres Kreischen, dann ein Krachen. Isabel fuhr fort: »Nachdem ich dich verlassen hatte, habe ich versucht, sie zu ï¬nden.«
»Deine Tochter?«
»Ja.«
»Und hast du sie gefunden?«
Sie schüttelte den Kopf. »Die Familie war weggezogen â schon vor Jahrzehnten.«
Ein ohrenbetäubender Knall. Die Fenster schepperten, und auf dem Tisch klirrte das Besteck. Richard legte seine Serviette hin. »Vielleicht sollten wir uns jetzt doch in Sicherheit bringen«, meinte er.
Im Schrank unter der Treppe lagen Erinnerungen aus der Kinderzeit verstreut: Saras alte Schlittschuhe, Theos Angel, ein Sammelsurium von Gummistiefeln. In der beengten dunklen Kammer erschien es Isabel, als würden die deutschen Bombenï¬ugzeuge mit ihren Waffen ganz direkt auf das Haus der Finboroughs in Hampstead zielen.
»Ist das immer so?«, fragte sie Richard.
»Ziemlich oft, ja.«
»Wie hältst du das nur aus?«
»Ich habe schon Schlimmeres durchgemacht. Wenn ich müde bin, ertappe ich mich manchmal bei dem Gedanken, ich würde wieder im Schützengraben liegen. Fehlt bloà noch, dass ich mich nach dem aufspritzenden Schlamm und den Kameraden umsehe.«
Er legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. Sie presste die Lippen aufeinander und versuchte, ihr Zittern zu unterdrücken â die Bomben, seine Nähe.
»Es wird alles gut gehen«, sagte er. »Es kommt einem näher vor, als es tatsächlich ist. Sie
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