Das Haus in den Wolken
zerstörten Teeverpackungsfabrik. Isabel erinnerte sich noch an jenen Nachmittag, nicht lange nach ihrer Hochzeit, als Richard sie in der ersten Finborough-Fabrik herumführte. Der saubere, frische Teegeruch, die Reihen von Frauen und jungen Mädchen in ihren langen, hochgeschlossenen Kleidern mit den Schürzen, die Etiketten auf die Teepäckchen klebten.
Nachdem sie sich von Philip, Elaine und ihren Enkeln verabschiedet hatte, machte sie sich auf die langsame, unbequeme Zugfahrt nach London. Die Stadt versetzte ihr einen Schock. Man konnte in der Zeitung Artikel über den Blitz lesen, die Fotograï¬en anschauen und im Rundfunk die Nachrichten anhören, doch die Realität, die sich ihr auf der Fahrt von Halt zu Halt durch die Vorstädte darbot, war niederschmetternd. Sie war stets eine ordnungsliebende Frau gewesen und verabscheute es, wenn die Dinge nicht am rechten Platz waren.
Bei ihrem Eintreffen war es bereits sechs Uhr, und so machte sie sich direkt auf den Weg nach Hampstead. Richard war noch nicht zu Hause, doch Isabel ertrug das Starren des Hausmädchens mit stoischer Gelassenheit und wartete im Salon bei einer Tasse Tee auf ihn. Seltsam, wieder in dem Haus zu sein, das ein Vierteljahrhundert lang ihr Zuhause gewesen war. Sie bemerkte all die Dinge, die nicht so recht stimmten: der Staub in den Ecken, die lieblos aufgestellten Möbel und Ziergegenstände, die fehlende Anmut der Räume, die ihre besten Tage hinter sich hatten.
Dann hörte Isabel Richard das Haus betreten, stand aus dem Sessel auf und trat ans Fenster. Als er hereinkam, sagte sie rasch: »Keine Sorge, ich bleibe nicht. Ich wollte dir nur sagen, wie leid mir das mit der Fabrik tut. Philip hat es mir erzählt. Zuerst dachte ich daran, dir einen Brief zu schreiben, doch dann erschien mir das so feige.«
Einen Herzschlag lang herrschte Schweigen. Dann sagte er: »Das ist sehr nett von dir.«
»Kann irgendetwas gerettet werden?«
»Nichts, gar nichts. Es ist kaum noch möglich zu sagen, wo die Fabrik einmal stand.«
»Es tut mir so leid, Richard.«
Er zuckte die Achseln. »Finanziell war sie nicht wichtig. Es ist nurâ¦Â«
»Ja«, sagte sie sanft. »Ja, ich weiÃ.«
Er ging zur Anrichte. »Möchtest du auch etwas trinken?«
»Ja, gern.«
Er schenkte ihr einen Sherry ein, und sie fragte: »Wie geht es dir, Richard?«
»Gut.«
»Du siehst müde aus.«
Er strich sich mit der Hand über das Gesicht. »Während der Luftschlacht um England haben wir vierundzwanzig Stunden am Tag gearbeitet und Ãlï¬ltergehäuse hergestellt â was seit der Bombardierung natürlich immer schwieriger wurde. Die Produktion ist kaum aufrechtzuerhalten bei Fliegeralarm, zumal wir gleich zu Anfang schon einige unserer besten Männer in den Hoheitsgewässern verloren haben.« Mit düsterem Blick goss er sich einen Whisky ein. »Aber das Komische ist, es macht mir nichts aus. Nicht wirklich. Um ehrlich zu sein, habe ich schon seit Jahren nicht mehr so gern gearbeitet. Es hat wenigstens alles einen Sinn, es ist die Mühe wert.«
»Du warst immer gern mittendrin«, murmelte sie.
»Ja, ich mag die Herausforderung. Ich bin am besten, wenn ich mit dem Rücken zur Wand stehe, wenn ich mich an etwas messen kann, wenn es sich für etwas zu kämpfen lohnt.«
Sie spürte seinen Blick auf sich ruhen und sah weg. »Und ich habe immer die Ruhe vorgezogen. Wir haben nie so recht zusammengepasst, nicht wahr, Richard?«
»Unsinn«, widersprach er gelassen. »Du bist eine Kämpfernatur, genau wie ich. Der einzige Unterschied zwischen uns ist, dass du nicht so viel Getöse darum machst.«
Einen Augenblick lang sprach keiner von ihnen ein Wort, doch schlieÃlich sagte Richard: »Cornwall scheint dir gut zu bekommen. Du siehst gut aus, Isabel.«
»Danke, es geht mir auch gut. Ich habe eine wunderbare Woche bei Philip und Elaine und ihren beiden Kindern verbracht.«
»Ich habe Philip getroffen. Er hat erzählt, dass er einen Sohn hat.«
»Ja, Rufus, so ein SüÃer. Er sieht genau aus wie Philip in dem Alter â richtig unheimlich, aber sehr anrührend.« Sie stellte ihr leeres Glas ab. »Mein Zugâ¦Â«
»Bleib doch zum Abendessen, Isabel, um Himmels willen.« Er sprach schnell, sein Ton klang rau. »Du ahnst ja nicht, wie schön es ist, einmal mit jemand Vertrautem zu reden.
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