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Das Haus in den Wolken

Titel: Das Haus in den Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Der Spähtrupp brach auf, sobald es ganz dunkel war. Richard prüfte die Waffen der Männer und seinen eigenen Revolver. Er nahm den würzigen Geruch der Erde wahr, während er vorwärtskroch, und spürte ein-, zweimal unter seinen Händen die frischen, kühlen Halme eines Grasbüschels, das sich, einer grünen Insel gleich, im aufgewühlten Erdreich gehalten hatte. Die Waffen schwiegen in dieser Nacht, und Nebel trieb tief über dem Boden. Er schützte sie wie ein Vorhang, aber er erschwerte auch die Orientierung und schien jedes Geräusch zu verstärken. Selbst das Huschen einer flüchtenden Ratte klang erschreckend laut. Die Drahtschneider knackten metallisch, als die Männer den ersten Stacheldrahtverhau durchschnitten. Dann warfen sie sich schon wieder nieder und krochen durch den Dreck, die Gesichter im Schlamm – wie Maulwürfe, dachte Richard, dem Nicholas Chance’ Zukunftsvision einfiel.
    Plötzlich hörte er etwas und erinnerte sich zu spät daran, dass sein Trupp nicht der einzige war, der in dieser Nacht auf Patrouille war. In der Dunkelheit bewegte sich etwas, dann fiel ein Schuss, dem beinahe unverzüglich ein Aufschrei folgte. Im aufblitzenden Licht konnte er erkennen, dass sie im Nebel vom Kurs abgekommen und ungefähr dreißig Meter von ihrem Zielpunkt entfernt waren. Dann krachte eine Explosion. Die Hände in die Erde gekrallt, drückte er sein Gesicht in den Schlamm. Er hörte das Maschinengewehrfeuer und gab brüllend den Befehl zum Rückzug.
    Er war erst wenige Schritte gelaufen, als er gegen eine unsichtbare Mauer zu prallen schien und sein linker Arm wie im Reflex hochflog. Die Explosion riss ihn in die Höhe und schleuderte ihn hart wieder zu Boden. Er rang verzweifelt nach Atem, aber statt Luft füllte nur heißer Staub seine Lunge.
    Wieder erleuchtete das Feuer eines Minenwerfers den Nachthimmel. Bombensplitter flogen hoch über ihm durch die Luft; er fand sie schön – zerzauste schwarze Vögel in diesem unnatürlichen Licht. Dann schloss er die Augen und verlor das Bewusstsein.
    Als er wieder zu sich kam, war es immer noch dunkel, aber der Nebel hatte sich ein wenig gelichtet. Ein Halbmond stand am Himmel. In seinem Schein konnte er erkennen, dass er das Glück gehabt hatte, an den Hang eines Bombenkraters geschleudert zu werden, wo er einigermaßen geschützt lag. Er blickte an sich herab. Obwohl er eigentlich keine Schmerzen hatte, wusste er, dass es ihn schlimm erwischt hatte. Er versuchte, sich systematisch zu untersuchen, so wie er einst, in einem anderen Leben, fehlerhafte Erzeugnisse in der Fabrik untersucht hatte. Sein linker Arm war nicht zu gebrauchen; er hing wie ein Stück totes Fleisch an seiner Seite herab. Als er die rechte Hand hob, sah er, dass in der Handfläche ein Loch war. Er versuchte aufzustehen. Da bekam er plötzlich doch heftige Schmerzen, und sein Geheul wurde mit neuerlichem Gewehrfeuer aus den feindlichen Gräben beantwortet.
    Er beschloss, zum Kraterrand hinaufzukriechen, um zu sehen, ob jemand in der Nähe war, der ihm zu den britischen Linien zurückhelfen konnte. Es dauerte eine Ewigkeit, sich mithilfe seines rechten Ellbogens und seines linken Beins den weichen, bröckeligen Hang hinaufzuziehen. Als er den Rand erreichte, sah er die Männer schlaff und reglos im Schlamm liegen. Er erkannte Cummings, Forbes und Hall, gute Soldaten alle drei, und Lieutenant Buxton. Buxtons blondes Haar war voller Schlamm und Blut. Er war noch nicht einmal eine Woche an der Front gewesen und hatte keine zwanzig Jahre gelebt. Richard kamen die Tränen.
    In fremden Landen verschollen, dachte er. Als das Entsetzen nachließ, beherrschte ihn nur noch eine wilde Entschlossenheit zu überleben. Hier draußen hatte er seinen Glauben an alles außer an seine Familie verloren: Für sie kämpfte er. Er kämpfte dafür, dass seine Söhne in Freiheit leben konnten und seine Frau und seine Tochter niemals sehen mussten, was er gesehen hatte.
    Er konnte also nicht einfach sterben. Jetzt noch nicht. Aber er verlor unaufhörlich Blut; er spürte, dass er immer schwächer wurde. Er beschloss, ein wenig zu schlafen. Nach dem Aufwachen würde er sich dem mühevollen Weg zurück zu den britischen Gräben besser gewachsen fühlen. Richard schloss die Augen und träumte von einem Haus an der Küste. Wellen schlugen krachend

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