Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Haus in den Wolken

Titel: Das Haus in den Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
Vom Netzwerk:
hatte ein hübsches rundes Gesicht mit Grübchen. Ein lockiger Pony fiel ihr fast bis zu den Augen hinunter, und sie lächelte ein wenig nervös in die Kamera. Sie hatte, vermutete Richard, für die Aufnahme beim Fotografen ihr Sonntagskleid angezogen, mit Rüschen und Schleifchen besetzt. Von dem Säugling konnte er nur ein in Spitzen schwimmendes griesgrämiges kleines Gesicht erkennen.
    Â»Sie ist toll, nicht wahr?«, sagte Chance stolz.
    Â»Eine sehr hübsche Frau, ja. Und die Kleine ist …« – Richard überlegte einen Augenblick und sagte dann sicherheitshalber – »entzückend. Ist sie Ihr erstes Kind?«
    Chance nickte. »Haben Sie auch Kinder, Sir?«
    Richard klappte sein Zigarettenetui auf und zeigte Chance die Fotografie darin. »Das ist Philip, mein Ältester, das ist Theo, und das ist meine kleine Tochter Sara. Und das meine Frau, Isabel.«
    Â»Sie sehen alle großartig aus, Sir.«
    Â»Ja, nicht wahr?«
    Als der Sergeant gehen wollte, sagte Richard: »Das war gute Arbeit heute Nacht, Chance.«
    Â»Danke, Sir.« Er lachte wieder. »Einen Moment hab ich da draußen gedacht, es wär aus mit mir. Armer alter Nick Chance, dachte ich, in fremden Landen verschollen. Du wirst die Heimat nie wiedersehen.«

    Im März wurde die Kompanie in Richtung Serre unweit der Somme verlegt. Eines Nachts zog Richard mit einer kleinen Truppe los, um die Stacheldrahtverhaue der Kompanie auszubessern. Beliebt waren diese Unternehmungen nie – die Soldaten waren dem Feind jenseits des Parapetts beinahe schutzlos ausgeliefert, wenn sie die Stahlpflöcke wieder einschlugen, die Hämmer mit Stoff umhüllt, um den Schall zu dämpfen. Jederzeit konnte eine verirrte Kugel oder Bombe sie treffen, jederzeit konnte das Licht eines Minenwerfers ihre Position verraten.
    Die Nacht war ruhig, der Mond zeigte sich nur dann und wann zwischen dahinjagenden Wolken, und die Arbeiten wurden ohne Zwischenfall ausgeführt. Als Richard den Befehl zur Rückkehr gab, bemerkte er im flüchtigen Mondlicht den Leichnam eines britischen Soldaten. Er wollte den Toten hinter die Linien bringen, damit er ordentlich beerdigt werden konnte, aber als er ihn hochhob, löste sich der Kopf, der weit stärker in Verwesung übergegangen war, als er gedacht hatte, in seinen Händen vom Körper. Einen Moment lang stand er wie gelähmt und starrte das schreckliche Ding an, das er in Händen hielt. Ein heftiger Brechreiz überkam ihn, und er ließ es fallen.
    Er musste seine Leute zusammengeholt und zum Graben zurückgeführt haben, denn als Nächstes fragte der Sergeant: »Möchten Sie mal einen Schluck von mir probieren?«, und reichte ihm eine Taschenflasche.
    Richard trank und hustete. »Was zum Teufel ist denn das?«
    Â»Ich hab’s beim Kartenspielen gewonnen«, antwortete Chance.
    Es beunruhigte Richard, dass er sich nicht erinnern konnte, was geschehen war, nachdem er den toten Kopf hatte fallen lassen. Er blickte zu seinen Händen hinunter. Während er sie mit Wasser aus einem Kanister wusch, hörte er Chance fragen: »Fühlen Sie sich auch wirklich wohl, Sir?«
    Â»Aber ja, natürlich.« Er lächelte mit Mühe. »Diese Stacheldrahtoperationen machen mich immer ein wenig nervös.«
    Chance nickte. Dann fragte er: »Glauben Sie manchmal, wir könnten für immer hier draußen festsitzen, Sir?«
    Richard sah ihn scharf an. »Wie meinen Sie das?«
    Â»Na ja, wir treten hier doch ewig nur auf der Stelle. Wir erobern ein Bauernhaus oder einen läppischen kleinen Hügel, was wir dann mit allen Kräften verteidigen. Aber wozu? Es bleibt doch nur ein zerbombtes Bauernhaus oder ein Hügel. Mal versuchen wir , ihre Gräben zu zerstören, dann versuchen wiederum sie , unsere zu zerstören, und was kommt dabei heraus, Sir? Mal ehrlich.«
    Â»Ich nehme an, wenn wir nicht hier wären, würden die Deutschen frischfröhlich in Paris einmarschieren.«
    Â»Ja, Sir, da haben Sie wahrscheinlich recht.«
    Danach schwiegen sie. Jeder zündete sich eine Zigarette an. »Wenn ich die Gräben sehe, die die Deutschen haben«, sagte Chance dann, »– richtige Räume und Gänge, viel raffinierter als bei uns –, dann frag ich mich, ob wir bald auch so anfangen. Wir bauen immer größere und immer komfortablere Gräben, und eines

Weitere Kostenlose Bücher