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Das Haus in den Wolken

Titel: Das Haus in den Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen.«
    Schweigen. Er sah sich in dem kahlen Zimmer um. Es gab keine Teppiche, keine Nippessachen, kein Klavier, nur einige Bücher und zwei Fotografien in billigen Rahmen, von denen eine, soweit er erkennen konnte, der Schnappschuss war, den er bereits kannte. Im Kamin glomm ein kleines Häufchen Kohle, und auf dem Beistelltisch stand ein Glas Wasser.
    Â»Nicholas ist leider nicht da, Mr. Finborough«, sagte Etta Chance nach der kurzen Pause. »Er – er ist geschäftlich unterwegs.«
    Dann begann sie zu weinen. Die Tränen quollen ihr aus den Augen, und sie versuchte nicht, sie wegzuwischen. Richard starrte sie einen Moment lang entsetzt an, bevor er sich abwandte, weil er sich wie ein Voyeur fühlte.
    Â»Ach Gott, Mrs. Chance – verzeihen Sie vielmals –, ich wollte Sie nicht aufregen.«
    Ruby lief zu ihrer Mutter und drückte ihr ein Taschentuch in die zitternde Hand. »Soll ich Tee machen, Mutter?«
    Etta Chance nickte. Ruby eilte aus dem Zimmer. Richard überlegte rasch, dann stand er aus seinem Sessel auf. »Bitte entschuldigen Sie mich einen Augenblick, Mrs. Chance.«
    Geschirrklappern und das Rauschen fließenden Wassers wiesen ihm den Weg zur Küche. Ruby war dabei, Tassen und Untertassen auf ein Tablett zu stellen. Sie war ein mageres, unansehnliches kleines Ding, nicht zu vergleichen mit seiner hübschen Sara. Ruby Chance hatte die kantigen Gesichtszüge ihres Vaters geerbt – unvorteilhaft für eine Frau, fand Richard –, und vom Typ her war sie eine fade Mischung aus Ettas blonder Anmut und Nicholas’ dunklem Charme. Sie trug einen marineblauen Trägerrock über einer schmuddeligen weißen Bluse, und ihre Beine in den schwarzen Wollstrümpfen waren so dünn und gerade wie Pfeifenreiniger. Ein mausbrauner Zopf mit einer zerknitterten dunkelblauen Schleife hing ihr den Rücken hinunter. Das einzig Bemerkenswerte an ihr waren die Augen – groß und wohlgeformt, von einem Blau, das eine ungewöhnliche Schärfe besaß.
    Sie blickte auf, als Richard eintrat. Er kam ohne Umschweife zur Sache. »Wie lang ist deine Mutter schon in diesem Zustand?«
    Â»Jahre«, antwortete sie.
    Er war bestürzt. »Ist sie in ärztlicher Behandlung?«
    Â»Nein.«
    Richards Blick schweifte zur offen stehenden Speisekammertür. Die Regale dahinter waren leer bis auf ein paar Dosen und Packungen. Die Chances konnten sich vermutlich keinen Arzt leisten. Sie schienen sich ja nicht einmal das Essen leisten zu können.
    Â»Dein Vater ist seit vier Monaten nicht mehr zu Hause gewesen«, sagte er. »Vier Monate ohne Geld. Wie seid ihr da zurechtgekommen?«
    Â»Ich habe ein paar Sachen versetzt.«
    Womit die Kahlheit des Wohnzimmers erklärt war. »Sehr vernünftig«, sagte er. »Habt ihr ein Dienstmädchen?«
    Â»Früher ist Mrs. Slattery regelmäßig zum Putzen gekommen, aber sie war schon lange nicht mehr hier.«
    Die Küche wirkte verwahrlost. »Und wer hat die Hausarbeit gemacht?« Er konnte sich diese arme, kranke Person im Wohnzimmer nicht mit einem Besen in der Hand vorstellen. »Du, Ruby? Ganz allein?«
    Â»Ja, Mr. Finborough.«
    Wieder musterte er sie, mit Bewunderung diesmal. Ruby Chance musste etwa ein halbes Jahr jünger sein als Sara – also höchstens zwölf –, und dennoch hatte sie, seit ihr Vater vor vier Monaten fortgegangen und nicht zurückgekommen war, das Haus ganz allein in Ordnung gehalten.
    Â»Hut ab, Ruby«, sagte er. »Aber was ist mit der Schule? Gehst du zur Schule?«
    Sie senkte den Blick. »In letzter Zeit nicht mehr.«
    Â»Aha. Du hast deiner Mutter nicht erzählt, dass du mir geschrieben hast, wie?«
    Â»Nein.« Sie legte zwei Teelöffel aufs Tablett. Sie sah ihn an; dieser scharfe blaue Blick war beunruhigend bei einem Kind. »Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich glaube, zu versetzen gibt es nichts mehr. Der Lebensmittelhändler liefert erst wieder, wenn die Rechnung beglichen ist. Und die Miete können wir auch nicht bezahlen. Wir haben schon einen Brief bekommen…«
    Sie zog eine Schublade auf und kramte unter einem Stapel Geschirrtücher einen mit Maschine geschriebenen Brief hervor, den sie ihm reichte. Er war vom Hauswirt, der den Chances mit Zwangsräumung drohte.
    Â»Aber es muss doch jemanden geben, der euch helfen kann, bis

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