Das Haus in der Löwengasse (German Edition)
Kümmerte es ihn nicht mehr, wer für seine Misere verantwortlich war, weil seine Verbindung mit Oppenheim alle Probleme auf einen Schlag lösen würde? Pauline wurde das Herz schwer. Hatte er ihren Rat befolgt und sie bereits vergessen? Obgleich sie es nicht anders gewollt hatte, breitete sich bei dem Gedanken Traurigkeit in ihr aus.
Natürlich würde sie nicht mit den Schnitzlers zurück nach Köln gehen. Sie ließ die beiden derzeit in diesem Glauben, hatte aber bereits einen anderen Plan geschmiedet. Mit der nächsten Postkutsche am Dienstag, also in zwei Tagen, würde sie Richtung Koblenz aufbrechen, sich zunächst auf dem Rhein nach Düsseldorf begeben und von dort aus eine Anstellung in einer der Städte des Ruhrgebietes suchen. Das war weit genug fort. Wenn sie alle Brücken hinter sich abbrach, würde auch Elmar Schnitzler ihr nichts mehr anhaben können. Dann musste sie einen ganz neuen Anfang wagen.
Ein Klopfen an ihrer Tür ließ sie aus ihren trüben Gedanken hochschrecken. «Ja, bitte?», rief sie und legte die Stickerei in ihren Schoß.
Regine Breitenbach streckte den Kopf herein. «Entschuldigen Sie die Störung, Fräulein Schmitz. Ich habe hier einen Brief, der gerade für Sie abgegeben wurde. Er kommt aus Köln.»
«Aus Köln?» Pauline stand so rasch auf, dass die Handarbeit zu Boden fiel. Hastig hob sie sie auf und legte sie aufs Bett. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust, und ihre Hand zitterte leicht, als sie den Brief entgegennahm. «Vielen Dank», sagte sie etwas verspätet in Regines Richtung.
Die Pensionswirtin lächelte. «Ich hoffe, es sind gute Neuigkeiten.»
«Ja, bestimmt», presste Pauline gerade so heraus und war froh, als die Wirtin sich diskret zurückzog. Mehrmals musste sie tief ein- und ausatmen, bevor sie sich traute, einen Blick auf den Absender zu werfen. Überrascht starrte sie auf den Namen: Ferdinand Burka.
Ihr Herz beruhigte sich schlagartig, doch ihre Gedanken überschlugen sich. Was wollte der Sohn des Apothekers vom Alter Markt von ihr? Sie hatte ihn nur ein paarmal bei Besorgungen getroffen und kaum mehr als einige höfliche Belanglosigkeiten mit ihm besprochen. Neugierig öffnete sie das Siegel und entfaltete den Briefbogen. Ihre Augen wurden groß, als sie die Schrift erkannte.
Liebste Freundin,
verzeihen Sie mir, dass ich Sie mit der falschen Absenderadresse in die Irre geführt habe, aber ich befürchtete tatsächlich, Sie könnten einen Brief mit meinem Namen darauf möglicherweise ungelesen vernichten. Deshalb habe ich meinen lieben Freund Ferdinand gebeten, seinen Namen und seine Adresse benutzen zu dürfen, was er mir freundlicherweise sofort zugestanden hat.
Schämen Sie sich, liebe Pauline, dass Sie so ohne ein Abschiedswort einfach auf und davon gefahren sind! Wie sehr ich Ihre Gesellschaft vermisse, können Sie sich gar nicht vorstellen. Und da Sie dem lieben Julius das Versprechen abgenommen haben, sich nicht mit Ihnen in Verbindung zu setzen, wussten wir uns keinen anderen Rat, als Sie über diesen Umweg zu erreichen. Ich habe schließlich kein solches Versprechen gegeben, obgleich ich mich dennoch etwas unwohl fühle, weil ich weiß, dass ich mit meiner Einmischung Ihre Wünsche umgehe.
Wir sind Ihnen außerordentlich dankbar für Ihre Nachricht bezüglich Elmar Schnitzler, die Sie an Herrn Herold geschickt haben. Seien Sie versichert, dass der Schurke mit den härtesten Konsequenzen zu rechnen hat, sobald er Köln betritt. Da wir davon ausgehen, dass Sie die Informationen nicht zufällig und wahrscheinlich auch nicht ganz freiwillig von ihm erhalten haben, sind wir übereingekommen, ihn über den Stand der Dinge im Unklaren zu lassen, bis er hier ist. Sein Vater teilt diese Ansicht und ist im Übrigen ausgesprochen zornig auf seinen Sohn und hat bereits gedroht, ihn zu enterben.
Allerdings gibt es da ein kleines Problem, und dies ist auch der Grund, weshalb ich Ihnen schreiben muss: Julius wird selbstverständlich rechtliche Schritte gegen Elmar Schnitzler einleiten, doch da Sie, liebe Pauline, die einzige Zeugin in dieser Sache sind, die für die Wahrheit der Anklagepunkte bürgen kann, muss ich Sie bitten, nach Köln zu kommen und vor Gericht Ihre Aussage zu machen. Zwar haben wir inzwischen viele Beweise gegen ihn gesammelt, doch Ihr Wort, liebe Pauline, wäre von unschätzbarem Wert, um den Richter vom genauen Hergang der Ereignisse zu überzeugen.
Bitte kommen Sie so bald wie möglich zurück in die Löwengasse – wir erwarten Sie
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