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Das Haus mit der grünen Tür

Das Haus mit der grünen Tür

Titel: Das Haus mit der grünen Tür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Scheiben Brot mit Ziegenkäse und eine mit Marmelade. Ein halbvolles Glas Milch stand vor ihr. Sie trug einen hellblauen Pyjama und sah mir fragend entgegen. »Hei«, sagte ich.
    »Hei«, sagte sie, »wie heißt du?«
    »Ich heiße Varg«, sagte ich.
    »Varg?« sagte sie. Sie schaute verwundert. Ich kannte diesen Gesichtsausdruck. Ich hatte ihn auch jeden Morgen, wenn ich mich im Spiegel sah.
    »Iß du dein Brot, Beate«, sagte die Mutter.
    »Beate«, sagte ich. »Das ist ein schöner Name. Ich kannte einmal eine – Frau – die so hieß.«
    Sie lächelte. Sie hatte große Lücken zwischen den Zähnen und einen Milchbart. Ein paar Brotkrümel lagen wie Steine an einem Strand um ihren Mund. Sie war ein hübsches Kind.
    Die Mutter sagte: »Was wollten Sie mir sagen?« Sie stand mit dem Rücken zum Abwaschbecken, und sie hatte die Handschuhe ausgezogen.
    Ich sagte: »Nur daß du nicht mehr dort hinzugehen brauchst – zum Haus mit der grünen Tür.«
    Es wurde still in der Küche. Beate murmelte vor sich hin, oder zum Brot.
    Ihre Stimme war rauh, als sie endlich sagte: »Und was meinen Sie damit?«
    »Daß Kvam erledigt ist. Finito. Endgültig. Du kannst den Laden vergessen. Leb wohl, grüne Tür, leb wohl, schwarzes Zimmer.«
    »Aber, sie haben gesagt … er hat gesagt …«
    »Vergiß ihn. Vergiß, was er gesagt hat. Er ist erledigt. Du brauchst nicht mehr hinzugehen. Nie mehr.«
    Ihr Gesicht war hager, und eine heimliche Furcht war darin aufgetaucht. Sie sagte: »Nie mehr? Nie?« Das war ein Wort, was sie selten benutzte, ich hörte es am Tonfall.
    Ich sagte: »Wieviel hast du daran verdient?«
    Ein Ausdruck der Verachtung erfüllte ihr Gesicht und vertrieb die Furcht. »Verdient? Das war nicht viel. Wir kriegten das, was uns die Kunden so gaben, zusätzlich. Und dann einen festen Betrag pro Abend von – von …«
    »Kvam.«
    »Ja, von …«
    »Aber wie – ich meine wie … «
    »Wie eine hübsche anständige Sekretärin sich auf diese Weise ausnutzen läßt?« Sie spuckte es aus. Unwillkürlich wanderte mein Blick zu ihrem Arm. Sie bemerkte es und spuckte noch einmal aus: »Nein, Finder, ich gehöre nicht zu denen. Sie – sie hatten mich in der Hand. Sie –« Sie sah Beate an. Das Mädchen war ganz auf das Essen konzentriert, wie nur Kinder es sein können. »Sie – Henning, vor vielen Jahren – er kannte meine Schwäche: daß ich es mochte – stark zu sein, zu – dominieren und – Diener zu haben.« Sie suchte nach Worten, aber das war nicht nötig. Ich hatte ihre Ausrüstung gesehen. Ich hatte das schwarze Zimmer gesehen. Ich wußte, was sie meinte.
    Sie fuhr fort: »Nachdem ich Beate bekommen hatte – ich war lange arbeitslos und der – Vater – er war verheiratet, er zahlte nicht pünktlich – und widerwillig. Es war oft schwierig, und ich ließ mich darauf ein – zwei, drei Abende die Woche, wegen Beate, wegen des Geldes …«
    Sie schluckte. »Später, als ich den Job bei Abra – bei Lange bekam, da wollte ich raus. Aber da sagten sie, Henning sagte, daß ich weitermachen müßte. Wenn nicht, würden sie mir das Jugendamt auf den Hals schicken. Er sagte, sie würden mir Beate wegnehmen – daß – solchen wie mir – nicht erlaubt würde, Kinder zu haben, daß – daß …«
    Ich sagte: »Ich habe beim Jugendamt gearbeitet. Ich hab nie erlebt, daß wir einer Mutter das Kind weggenommen haben, weil sie auf diese Weise ihr Geld verdient hat – wenn sie nur eine gute Mutter war. Wir haben Müttern die Kinder weggenommen, die nicht mehr in der Lage waren, sich um ihre Kinder zu kümmern, wegen Sauferei oder Drogenmißbrauch oder so. Aber niemals wegen – so was. Das wäre nie passiert. Ich hab Frauen gesehen, die sich ihren ganzen Lebensunterhalt auf diese Weise verdienten, und die ihre Kinder viel liebevoller aufzogen als viele andere. Die größten Probleme hatten wir mit Kindern aus einer ganz anderen Gesellschaftsschicht, aus ganz anderen Familien. Kinder aus Familien, wo die Eltern so viel Geld und so viele Ambitionen im Kopf hatten, daß da keine Zeit mehr war, sich um ihre Kinder zu kümmern.«
    Ich sah Beate an. Sie war beim Marmeladenbrot angelangt. Ich dachte an Thomas. In einem anderen Haus in dieser Stadt saß er vielleicht auch gerade und aß ein Marmeladenbrot, bevor er ins Bett gebracht wurde: von der Mutter – oder vielleicht dem neuen Vater.
    Ich sagte, mit rostiger Stimme: »Ich will nicht länger stören. Du mußt – Beate ins Bett bringen. Nur noch eine Frage, bevor ich

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