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Das Haus mit der grünen Tür

Das Haus mit der grünen Tür

Titel: Das Haus mit der grünen Tür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Seite und warf mir einen forschenden Blick zu. Dann zuckte sie mit den Schultern, streichelte ihm kurz die Wange und den Mund – und verschwand. Die Tür schlug zu. Der Schlüssel wurde im Schloß herumgedreht. Dann hörte ich, wie der Schlüssel abgezogen wurde, und gleich darauf ein weiteres metallisches Geräusch, als würde etwas anderes ins Schlüsselloch geschoben. Ich fluchte innerlich. Sie wollte ganz sichergehen. Es war ein Patentschloß. Sie setzte es ein, rüttelte probeweise an der Tür, und dann hörten wir ihre Absätze draußen den Gang entlangklappern. Wir hörten die Haustür ins Schloß fallen, und dann hörten wir nichts mehr.
    Ich war allein mit meinem alten Freund Teddy Lund in einem verschlossenen Raum, vier Etagen über der Erde.
     
    Ich saß da und grübelte ein wenig, während ich Teddy betrachtete. Er hatte ein Gesicht, das an Blechdosen erinnerte, die man auf Abfallhaufen findet, verbeult und rostig und zum Teil kaputt: Man sieht, was es ist, aber es ist nicht mehr, was es war.
    Mir fiel plötzlich ein, daß wir in der kurzen Zeit unserer Bekanntschaft nicht viel anderes als Grunzen und Gewalttätigkeiten ausgetauscht hatten. Ich machte einen Versuch, ihn besser kennenzulernen. Ich sagte: »Was hat sie dir für ein Märchen erzählt, Teddy?«
    Er runzelte die dicken Augenbrauen und schob die Unterlippe vor. »Halt die Schnauze, du Mücke.«
    »Bist du dir darüber klar, daß sie dich ausgebootet hat? Die siehst du nie wieder. Sie verschwindet jetzt. Mit der ersten Maschine von Flesland. Sie geht in fünfzig Minuten. Die Kopenhagen-Maschine.«
    Er zeigte mir seine Faust. Sie war so groß wie eine Bierkanne. Er sagte: »Noch ein Wort, du Hühnchen, und du kriegst diese hier auf den Kopf. Ich zermalm dir dein verdammtes Rotzmaul – je eher, desto besser.«
    Ich hielt mein Maul eine Weile.
    Es vergingen ein paar Minuten. Es war kalt im Zimmer, aber ich hatte zu schwitzen begonnen. Ich versuchte es mit einer anderen Masche und sagte, freundlicher: »Ich kenn dich noch aus deiner Boxerzeit, Teddy. Die Sonntagsmatineen im Eldorado. Die Mittwochabende in der Laksevåghalle. Du warst gut. Damals.« Ich war nie dagewesen, aber ich konnte ja so tun als ob.
    Es blitzte in seinen Augen, aber er zermalmte mir nicht das Maul. Und er sagte nichts.
    »Du hättest einer der Besten sein können, Teddy.«
    Noch immer keine Antwort. Ich wechselte wieder zur harten Linie über. »Aber du wurdest es nicht. Warum nicht, Teddy? Zuviel Bier? Zu viele Siegesfeiern und zu schlechte Konkurrenten – bis dann die wirklichen Konkurrenten kamen –, hä, Teddy? Sie kamen über die Berge mit braunen Koffern und tanzten wie Stehaufmännchen um dich herum? Sie lachten dir ins Gesicht, während sie dich schlugen? Lachten – weil du weiter nichts mehr warst als ein großer, schwerer Fleischkloß: Muskeln, die zu früh schlaff geworden, Fett, das zu dick, und Hände, die zu langsam geworden waren? Und du mußtest einstecken. Kampf für Kampf, Jahr für Jahr. Und die anderen lachten und lachten. Du warst ein zerschlagenes Gespenst, ein abgekämpfter Clown, der sich in keinem Boxring zeigen konnte, ohne daß die Leute sich totlachten. So viel hatten die Leute seit den ersten Stummfilmen nicht mehr gelacht, Teddy. Du warst ein Erfolg. Die Karten zu deinen Kämpfen wurden auf dem Schwarzmarkt gehandelt, und die Leute standen in langen Schlangen an, um reinzukommen, und sie lachten schon beim Schlangestehen.«
    Ich holte tief Luft. Teddy Lund schielte mich böse an, und sein Gesicht war tiefrot angelaufen. Ich fuhr fort: »Und dann war es aus. Die Show war vorbei. Die Lichter in den Fluren gingen aus, eins nach dem anderen. Sie kannten deine Visage jetzt, was davon übrig war, und sie wollten über neue Clowns lachen. Dann kam der Tritt in den Arsch, und der Vorhang ging hoch zum zweiten Akt. Dann kamen die totalen Besäufnisse, die sinnlosen Schlägereien, Streitereien mit Türstehern, die ersten Anzeigen wegen öffentlicher Ruhestörung, das In-die-Ecken-Kotzen und der Geschmack von gammeligem Käse im Mund, wenn du morgens aufwachtest. Deine Zeit war vorbei, Teddy, und eigentlich war es nie deine gewesen. Die Zeit nahm dich zwischen die Zähne, kaute auf dir herum und spuckte dich wieder aus.«
    Ich holte wieder tief Luft. Sein Blick war dabei, sich wieder zu konzentrieren, und er ähnelte einem Stier, der einen ihm den Rücken zukehrenden Blaubeersammler ins Visier nimmt.
    »Und jetzt haben sie dich wieder verarscht, Teddy.

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