Das Haus mit der grünen Tür
dunklen Anzug, eine schwarze Fliege und ein weißes Hemd. Er hatte das Haar naß gekämmt und frische Schnittstellen am Kinn. Er sagte: »Wir gehen aus. Meine Mutter paßt auf Thomas auf.«
Das reichte, um mich augenblicklich davonzujagen. Ich war seiner Mutter einmal begegnet und hatte kein Bedürfnis, die Bekanntschaft zu erneuern.
Ich verabschiedete mich und ging den Gartenweg wieder hinunter. Ich war fast unten beim Auto angelangt, als ich hinter mir eine Stimme hörte. Sie klang wie Bachplätschern über rundgeschliffenen Steinen. Sie rief: »Varg!«
Eine fremde Frau kam hinter mir den Weg entlanggelaufen.
Sie trug ein kurzes, schwarzes Kleid mit ein paar grünen und lila Streifen um den Halsausschnitt. Es hatte einen großzügigen Ausschnitt, und ihr festes, weißes Fleisch wiegte mit, als sie mir entgegenlief. Sie atmete schwer, und ich erkannte den Duft von Apfelblüten wieder. Ihr Haar war schwarz wie Teer, und Apfelblüte war das Parfüm, das sie gewöhnlich benutzte.
»Aber«, sagte ich. »Du siehst ja aus wie eine Fremde …«
Sie lachte leicht. »Meinst du die?« fragte sie, und ihre Hand flog leicht auf die Perücke zu, wie eine Möwe auf ein Stück Gewitterhimmel. »Es ist so schön, ab und zu den Typ zu verändern. Wirklich. Das tut so gut. Du solltest …«
»Es versuchen, meinst du?«
»Nein, aber …« Sie lachte es weg. Dann wurde sie wieder ernst. Sie legte eine schlanke, schmale Hand in meine Armbeuge und sagte: »Ich wollte mich nur für heut morgen entschuldigen. Ich hätte nicht anfangen sollen zu … Aber du – du mußt einfach versuchen, versuchen zu – vergessen, Varg. Was vorbei ist, ist vorbei. Und was war, ist gewesen. Dies ist ein neues Leben. Für dich – und für mich.«
Ich nickte stumm. Ich betrachtete die schwarzhaarige, fremde Frau, die einmal meine gewesen war. Ich nickte wieder, fing ihren Blick ein und sah noch einmal auf ihr Haar. »Ich habe dich fast nicht wiedererkannt«, sagte ich. Dann ließ ich sie stehen und ging schnell zu meinem Wagen hinunter und fuhr nach Hause.
Ich versuchte, das Bild von ihnen – Thomas und Beate – wegzuwischen, mit Aquavit. Es war vergebens. Ein schwacher Schatten blieb die ganze Zeit, wie Schwammstreifen an einer Tafel.
Ich schlief spät ein, und ich schlief unruhig.
Um halb drei wachte ich davon auf, daß etwas meinen ganzen Körper durchzuckte. Ich war sofort hellwach. Ich lag auf dem Rücken und starrte an die Decke. Und ich sah es ganz klar. So klar, wie ich es die ganze Zeit hätte sehen können, wenn ich nur richtig nachgedacht hätte. »So war es«, sagte ich zu mir. »So war es. Direkt vor unseren Augen, von der ersten Stunde an. Und wir sahen es nicht. Keiner von uns.«
Es vergingen ein paar Stunden, bevor ich den Schlaf zurückerobert hatte, und die Eroberung war nicht besonders glorreich. Sie schmeckte wie ein Bonbon, an dem vor dir ein Hund geleckt hat, und sie brachte mir ungefähr so viel wie ein Bad im eiskalten Wasser des Vaskerelvs.
44
Als erstes rief ich am nächsten Morgen Jon Andersen auf der Polizeiwache an. Als er hörte, daß ich es war, merkte ich an seinem Tonfall, daß er, wie die meisten anderen dort auch, für eine ganze Weile von Varg Veum genug hatte. Aber er gab mir Antwort auf meine Fragen. Nein, sie hatten Kate Kvam am Wochenende nicht festgenommen. Nein, Teddy Lund auch nicht.
Das war’s. Ich lehnte mich zurück und dachte nach. Nachdem mir jetzt klargeworden war, wie die ganze Sache gelaufen war, konnte ich mir nur einen einzigen Ort in Bergen vorstellen, an dem Kate Kvam sich verstecken würde. Einen einzigen Ort … Ich parkte den Wagen und näherte mich vorsichtig. Es war die fahle Stunde zwischen neun und zehn Uhr im November. Wieder ein Tag mit bedecktem Himmel und einem schwachen Schimmer von Regen in der Luft und einem grauen Gobelin über Askøy. Kein Tag, um draußen die Wäsche zu trocknen.
Die Fenster im vierten Stock waren tot, die Vorhänge zugezogen und kein Licht dahinter.
Ich ging schnell die Treppe hinauf. Ich kam an dem Schild des Ateliers Bonanza vorbei. Ich kam an den Türen zu dem Zahnarzt und dem Arzt im zweiten Stock vorbei. Ich kam an der Tür der schwerhörigen Neunzigjährigen im dritten vorbei. Ich ging vorsichtig das letzte Stück hinauf zu der Tür, wo ein kleines Türschild mitteilte, daß hier Hr. Stein Wang wohnte: der höchst imaginäre Herr Stein Wang. Die Tür war blaugrau und hatte keine Fenster. Ganz unten war die Farbe abgekratzt, als hätte jemand,
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