Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose
unsicher auf dem Eis.«
»Unsicher?«, fragte ich lächelnd.
»Ja. Bist du vorher noch nie Schlittschuh gelaufen?«
»Doch, schon oft.«
»Ach, wirklich?«, fragte sie überrascht, als wir am Seeufer entlang unsere Kreise zogen, wobei wir uns im Gleichschritt bewegten und mal nach links und mal nach rechts ausschwenkten. Ab und zu zogen wir das Tempo etwas an, bis uns die Schreie der am Ufer stehenden Zarin dazu zwangen, es wieder zu drosseln. »Ich habe nicht gewusst, dass du so viel Freizeit hast, um den Palast für derlei Frivolitäten verlassen zu können. Vielleicht sind deine Aufgaben ja doch nicht so schwer, wie ich bislang gedacht habe.«
»Nicht hier, Euer Hoheit«, erwiderte ich schnell. »Ich meinte, zu Hause in Kaschin, meinem Heimatdorf. Wenn die Seen im Winter zugefroren waren, sind wir immer auf dem Eis gewesen. Natürlich nicht auf Schlittschuhen. Für so einen Luxus hatten wir kein Geld.«
»Aha«, sagte sie, unser kleines Geschäker sichtlich genießend. »Und du bist dort allein gelaufen, nehme ich an.«
»Nein, nicht immer.«
»Also mit deinen Freunden, diesen anderen Bauerntölpeln, mit denen du aufgewachsen bist.«
»Keineswegs, Euer Hoheit«, grinste ich. »Wie überall auf der Welt bekommen auch die Familien in Kaschin nicht bloß Söhne, sondern auch Töchter. Nein, ich bin immer mit den Mädchen aus meinem Dorf eisgelaufen.«
»Hört auf, euch zu streiten!«, schrie Alexei, der sich nach Kräften bemühte, nicht das Gleichgewicht zu verlieren, denn in Wahrheit war er ein lausiger Schlittschuhläufer. Außerdem war er noch zu jung, um zu erkennen, dass das Ganze kein Streit war, sondern ein munterer Flirt.
»Ich verstehe«, sagte Anastasia nach einer Weile. »Nun, es kommt dir offenbar zugute, dass du mit diesen dicken, hart arbeitenden Mädchen über eure Seen geschlittert bist. Ich selber bin ja schon seit Jahren eine versierte Schlittschuhläuferin.«
»Das merkt man«, erwiderte ich.
»Kennst du den Prinzen Jewgeni Iljitsch Simonow?«
»Ja«, sagte ich,»er ist mir schon mal über den Weg gelaufen.« Ich erinnerte mich an diesen gut aussehenden Sprössling einer der wohlhabendsten Familien von St. Petersburg, einen Burschen, der nicht nur mit einem ahornholzfarbenen Teint und einem dichten Schopf blonder Haare gesegnet war, sondern auch mit den weißesten Zähnen, die ich je gesehen hatte. Es war allgemein bekannt, dass ihn die jungen Damen der feinen Gesellschaft vergötterten.
»Nun, Jewgeni hat mir alles beigebracht, was ich kann«, sagte Anastasia mit einem reizenden Lächeln.
»Alles?«
»Na ja, fast alles«, räumte sie etwas später ein, wobei sie den Mund spitzte, als sie mich anschaute – die größte uns mögliche Annäherung an einen öffentlichen Kuss.
»Kommt, lasst uns einen Kreis bilden«, sagte ich und blickte zu Alexei hinab.
»Einen Kreis?«
»Ja, dann können wir uns gemeinsam drehen, Euer Hoheit«, fuhr ich fort und schaute nun Anastasia an. »Ihr fasst auch mich bei der Hand, sodass wir drei eine geschlossene Kette bilden.«
Sie folgte meiner Anweisung, und einen Moment später waren wir drei miteinander verbunden und glitten auf diese Weise mal hierhin und mal dorthin, ein angenehmer Ringelreihen, der ein Ende fand, als uns die Zarin wütend vom Seeufer aus zuwinkte und darauf bestand, dass wir sofort vom Eis herunterkamen. Ich seufzte, und obwohl ich mir wünschte, es könnte noch ewig so weitergehen, sprach ich mich dafür aus, der Zarin zu gehorchen, doch in dem Moment, als wir Alexei sicher bei seiner Mutter abgeliefert hatten, nahm Anastasia erneut meine Hand, wobei sie diesmal fester zugriff, und dann fegte sie in einem solchen Tempo mit mir auf das Eis hinaus, dass ich Mühe hatte, mit ihr Schritt zu halten und nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
»Anastasia«, schrie die Zarin, der mit einem Mal bewusst wurde, wie unziemlich es war, dass ihre Tochter und ich auf diese Weise allein Schlittschuh liefen, doch das schallende Gelächter, das der Zar anstimmte, als ich beinahe der Länge nach hingeschlagen wäre, reichte aus, um mich davon zu überzeugen, dass man mir diese Eskapade durchgehen ließe.
Und so liefen wir gemeinsam Schlittschuh. Und aus dem Schlittschuhlaufen wurde schnell ein Tanz. Wir beide bewegten uns in völligem Einklang, unsere Bewegungen und unsere Schritte waren perfekt aufeinander abgestimmt. Das Ganze dauerte nicht länger als ein paar Minuten, doch es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Wenn ich an Zarskoje Selo und an
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