Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
Vom Netzwerk:
Sohn?«, fragte ich, denn ihre Worte ergaben für mich keinen Sinn.
    »Nein, nicht mein Sohn, Georgi. Der ist bloß ein Rädchen im Getriebe. Aber ich rede zu viel. Du hast mich hier aufgesucht. Was kann ich für dich tun?«
    Ich zögerte, unsicher, ob wir das Gespräch, das wir begonnen hatten, fortführen sollten, und entschied mich dagegen. »Ich würde gern wissen, wie es zur Zeit mit Haushaltshilfen aussieht?«, fragte ich. »Ich meine, ob Ihr noch Personal braucht?«
    »Du willst doch wohl nicht den Posten bei der Leibgarde gegen ein Paar Schürzenbänder eintauschen, oder?«
    »Nein«, sagte ich und lachte kurz. »Nein, es geht um meine Schwester, Asja Daniilowna. Sie würde liebend gern hier arbeiten.«
    »Ach, tatsächlich?«, fragte die Fürstin, offenbar interessiert. »Ich vermute, sie hat einen guten Leumund?«
    »Einen tadellosen!«
    »Nun, wir haben hier immer Verwendung für tadellose Mädchen«, sagte sie lächelnd. »Ist sie in St. Petersburg oder noch zu Hause in … Tut mir leid, Georgi, ich habe vergessen, wo du herkommst.«
    »Aus Kaschin«, erinnerte ich sie. »Und nein, sie ist nicht mehr da, sondern schon …« Ich hielt inne und korrigierte mich. »Verzeiht mir«, sagte ich. »Ja, sie ist noch da, aber sie will unbedingt von dort weg.«
    »Nun, dann könnte sie wohl in ein paar Tagen hier sein, wenn wir ihr eine entsprechende Nachricht zukommen ließen. Schreib ihr, Georgi. Schreib ihr auf alle Fälle. Lade sie hierher ein, und benachrichtige mich, sobald sie eingetroffen ist. Ich werde garantiert eine Stelle für sie finden.«
    »Vielen Dank«, sagte ich und erhob mich, unsicher, warum ich sie über Asjas Aufenthaltsort angelogen hatte. »Ihr seid zu gütig.«
    »Wie gesagt …« Sie lächelte mich an und wandte sich wieder ihren Papieren zu. »Du erinnerst mich an meinen Sohn.«
    »Ich werde für ihn eine Kerze anzünden«, sagte ich.
    »Danke.«
    Ich machte eine tiefe Verbeugung und verließ ihr Büro. Nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, blieb ich noch eine Weile draußen im Flur stehen. Einerseits freute ich mich darüber, dass ich mit solchen Neuigkeiten zu meiner Schwester zurückkehren konnte, dass ich wieder ihr Held sein konnte. Andererseits war ich darüber verärgert, dass sie in meine neue Welt eindrang, eine Welt, die ich für mich allein haben wollte.
    »Du scheinst verwirrt, Georgi Daniilowitsch«, sagte der Starez, Vater Grigori, der so plötzlich, so unerwartet vor mir aufgetaucht war, dass mir vor Schreck ein Schrei entfuhr. »Sei ruhig«, befahl er mir leise, wobei er eine Hand nach mir ausstreckte, sie auf meine Schulter legte und mich sanft zu streicheln begann.
    »Ich bin spät dran, ich muss zu Graf Tscharnetzki«, sagte ich und versuchte, mich von ihm loszureißen.
    »Ein widerwärtiger Mensch«, sagte er und lächelte mich an, wobei er sein gelbes Gebiss bleckte. »Was willst du denn bei dem? Warum bleibst du nicht bei mir?«
    Aus einem unerklärlichen Grund verspürte ich mit einem Mal das Bedürfnis, ihm mein Einverständnis zu geben. Stattdessen entwand ich mich jedoch seiner Hand und machte mich von dannen, ohne auch nur ein einziges Wort zu sagen.
    »Am Ende wirst du schon die richtige Entscheidung treffen, Georgi«, rief er mir nach, wobei seine Stimme von den steinernen Wänden reflektiert wurde und in meinem Kopf widerhallte. »Du wirst dein eigenes Vergnügen über die Wünsche anderer stellen. Das ist es, was dich zu einem Menschen macht.«
    Ich begann zu laufen, und binnen weniger Sekunden übertönte das Gepolter meiner Stiefel die Wahrheit, die, wie ich wusste, hinter seinen Worten steckte.
    Während des Winters und der ersten Wochen des Frühjahrs 1916 machte ich es mir zur Aufgabe, darauf zu achten, dass der Zarewitsch sich jeglicher Aktivitäten enthielt, die zu einem Unfall und somit zu Verletzungen führen konnten – keine leichte Aufgabe, wenn man es mit einem agilen elfjährigen Jungen zu tun hat, der partout nicht einsehen will, warum ihm die Spiele und Sportübungen verwehrt sein sollten, an denen sich seine Schwestern erfreuen durften. Es kam regelmäßig vor, dass er die Geduld mit seinen Aufpassern verlor und sich auf sein Bett warf und mit Fäusten auf die Kissen einschlug, so sehr hasste er die Schutzmaßnahmen, die man um seinetwillen angeordnet hatte. Womöglich wurde diese Wut noch dadurch verschärft, dass er zwar der Zarewitsch war, die Dinge, die ihm den größten Spaß bereiteten, aber seinen Schwestern vorbehalten

Weitere Kostenlose Bücher