Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose
und dass du die beiden, die dich begleiten, an den Händen hältst?«
»Ja, Vater«, schrie Alexei begeistert und sprang von seinem Stuhl auf, wobei er – zum allgemeinen Entsetzen – beinahe über seine eigenen Füße gestolpert wäre. Ich hechtete zu ihm hin, um ihn aufzufangen, bevor er zu Boden fallen konnte, doch er schaffte es noch rechtzeitig, die Balance zu halten, und dann stand er da, und ihm war anzusehen, wie peinlich ihm sein kleines Missgeschick war.
»Nicky, nein!«, rief die Zarin sofort, wobei sie nun ebenfalls aufstand und ihrem Gatten einen wütenden Blick zuwarf. »Das darfst du nicht zulassen.«
»Der Junge sollte schon etwas Freiheit genießen dürfen, Sunny«, erwiderte der Zar, wobei er sich abwandte, nicht gewillt, seiner Frau in die Augen zu schauen. Ich konnte sehen, wie wenig es ihm behagte, dass sich diese Szene vor aller Augen abspielte. »Du kannst doch nicht erwarten, dass er hier den ganzen Nachmittag still herumsitzt und sich nicht betrogen fühlt.«
»Aber wenn er hinfällt«, schluchzte sie mit tränenerstickter Stimme.
»Ich falle nicht hin, Mutter«, sagte Alexei und küsste sie auf die Wange. »Das verspreche ich dir.«
»Du wärst doch fast schon hingefallen, als du nur von deinem Stuhl aufgestanden bist!«, schrie sie.
»Das war ein Versehen. Das passiert mir nicht noch mal.«
»Nicky«, sagte sie noch einmal mit flehender Stimme zu ihrem Gatten, doch der Zar schüttelte den Kopf. Ich erkannte, dass er seinen Sohn da draußen auf dem Eis sehen wollte. Und er wollte, dass alle anderen Alexei ebenfalls dort sahen – ohne Rücksicht auf mögliche Folgen. Der Zar und seine Frau starrten einander an und lieferten sich einen stummen Machtkampf. Laut Hofklatsch war es eine Liebesheirat gewesen, als sich die beiden zwei Jahrzehnte zuvor das Jawort gegeben hatten – ihre Verbindung war nicht nur gegen den Willen Alexanders III ., des Vaters des Zaren, zustande gekommen, sondern auch gegen den der Kaiserinwitwe Maria Fjodorowna, der die englisch-deutsche Abstammung Alexandras ein Dorn im Auge war. Während all ihrer Ehejahre hatte der Zar sie stets auf Händen getragen, selbst als sie ihm eine Tochter nach der anderen gebar und er die Hoffnung auf einen Sohn fast schon aufgegeben hatte. Erst in den letzten Jahren, seitdem bei Alexei die Bluterkrankheit diagnostiziert worden war, hatte ihre Beziehung Risse bekommen.
Andere, landesweit verbreitete Gerüchte besagten, dass der Zar in Alexandras Gunst und ihrem Bett durch Vater Grigori ersetzt worden war, doch ich vermochte nicht zu sagen, ob dies der Wahrheit entsprach oder ob es eine Verleumdung war.
»Ich werde mit ihm laufen, Vater«, sagte eine leise Stimme, und ich schaute zu Anastasia hinüber, die das für sie typische unschuldige, zarte Lächeln zeigte. »Und ich werde ihn die ganze Zeit an der Hand halten.«
»Da, siehst du?«, sagte Alexei zu seiner Mutter. »Jeder weiß, dass Anastasia die beste Schlittschuhläuferin von uns allen ist.«
»Aber nur ihr beide allein, das geht nicht«, erwiderte die Zarin, die sich offenbar mit ihrer Niederlage abgefunden hatte, aber wenigsten so tun wollte, als hätte sie noch ein Wörtchen mitzureden. »Georgi Daniilowitsch«, sagte sie und überraschte mich, denn sie drehte sich zielgerichtet zu mir um, »du wirst meine Kinder aufs Eis begleiten. Alexei, du wirst zwischen den beiden laufen und sie immer an den Händen halten. Hast du verstanden?«
»Ja, Mutter«, krähte er entzückt.
»Und wenn ich sehe, dass du die beiden auch nur ein einziges Mal loslässt, werde ich dich zurückrufen, und du wirst mir ohne Widerspruch gehorchen.«
Der Zarewitsch erklärte sich damit einverstanden und band seine Schnürsenkel zu, während ich mich zum Seeufer begab, um meine klobigen Schneestiefel gegen elegante Schlittschuhe einzutauschen. Ich erhaschte einen Blick von Anastasia, die mich kokett anlächelte – welch brillanten kleinen Plan sie da ausgeheckt hatte! Wir beide würden da draußen vor aller Augen über den See schweben, und niemand würde auch nur den geringsten Verdacht schöpfen.
»Ihr seid eine ausgezeichnete Schlittschuhläuferin, Euer Hoheit«, erklärte ich, als wir zu dritt langsam zur Mitte des Sees liefen, wo die anderen Schlittschuhläufer und die Großfürstinnen auseinanderglitten, um uns Platz zu machen.
»Ach ja? Vielen Dank, Georgi«, sagte sie hochmütig, als wäre ich für sie nichts weiter als ein Dienstbote. »Du hingegen scheinst mir überraschend
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