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Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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als befürchtete sie, dass gleich etwas Schreckliches passieren würde. Anstatt sofort die Tür zu öffnen, ging sie immer erst zum Fenster und zog den Store ein wenig beiseite, um einen Blick auf denjenigen zu werfen, der draußen vor unserer Tür stand, denn von dieser Position aus konnte man den Rücken unseres Besuchers sehen, ohne dass er oder sie etwas davon mitbekam. Von dieser Angewohnheit ließ sie nie ab. Sie fühlte sich nie sicher, das war das Problem. Sie war fest davon überzeugt, dass man sie eines Tages finden würde – und nicht nur sie, sondern uns alle.
    »Mrs Stevens?«, fragte ich und zog eine Augenbraue hoch. »Von Newsom’s?«
    »Ja. Ich war völlig überrascht. Ich dachte, dass sie vielleicht einen Fehler bei meiner letzten Lohnabrechnung gemacht hatte und dass sie gekommen war, um die Sache zu bereinigen, aber nein, es war nichts dergleichen. Zuerst sagte sie, sie habe nur mal vorbeischauen wollen, um zu sehen, wie es mir und Arina geht, aber das habe ich ihr natürlich nicht abgekauft. Nachdem sie dann eine Tasse Tee getrunken hatte und ich vor Spannung beinahe verrückt geworden wäre, rückte sie schließlich damit heraus, dass es in der Fabrik derzeit einen akuten Mangel an Maschinennäherinnen gebe und dass sie mit den Aufträgen nicht mehr nachkämen und ob ich vielleicht Interesse hätte, zu Hause für sie zu arbeiten.«
    »Ah, ich verstehe«, erwiderte ich, schaute zur Maschine hinüber und nickte, denn mir war nun klar, was das Ergebnis dieser Unterhaltung gewesen war. »Und du hast natürlich Ja gesagt.«
    »Nun, ich sah keinen Grund, das Angebot auszuschlagen. Die Bezahlung ist mehr als anständig. Und ein Mann von Newsom’s wird einmal die Woche vorbeikommen, um mir den Stoff und das andere Arbeitsmaterial zu bringen und gleichzeitig die fertigen Stücke abzuholen, sodass ich keinen Fuß in die Fabrik setzen muss. Das dürfte unsere finanzielle Situation doch um einiges verbessern, oder?«
    »Ja, natürlich«, sagte ich und ließ mir die Sache durch den Kopf gehen. »Obwohl ich schon auch allein für uns drei sorgen kann.«
    »Oh, das weiß ich, Georgi. Ich meinte nur …«
    »Sie muss sich deiner Antwort ja ziemlich sicher gewesen sein, wenn sie die Maschine gleich mitgebracht hat.«
    Soja starrte mich einen Moment lang verdutzt an, bevor sie in Gelächter ausbrach. »Ach, Georgi«, sagte sie kopfschüttelnd, »du glaubst doch wohl nicht, dass Mrs Stevens die Maschine den ganzen Weg von der Fabrik bis hierher geschleppt hat, oder? Das Ding ist so schwer, dass ich es nur mit Mühe über den Fußboden schieben kann. Nein, ein Arbeiter aus der Fabrik hat sie heute Nachmittag vorbeigebracht, nachdem ich zugesagt hatte. Kurz bevor du kamst.«
    Vielleicht war es falsch von mir, aber irgendwie schmeckte mir dieses Arrangement nicht. Ich fand, unsere Wohnung war unser Zuhause und kein Ort, den man in eine Nähstube verwandeln sollte, und außerdem ging es mir gegen den Strich, dass diese Entscheidung gefällt worden war, ohne dass man mich vorher gefragt hatte. Gleichzeitig sah ich jedoch, wie glücklich Soja darüber war, sich in Zukunft nicht mehr ausschließlich um Arina kümmern zu müssen, sondern nebenbei auch einer bezahlten Beschäftigung nachgehen zu können, und ich erkannte, dass es kleinlich von mir gewesen wäre, wenn ich ihr dies untersagt hätte.
    »Das geht doch in Ordnung, Georgi, oder?«, fragte sie, denn offenbar spürte sie meine Bedenken. »Oder hast du was dagegen?«
    »Nein, nein«, erwiderte ich schnell. »Wenn’s dich glücklich macht.«
    »Ja, das tut es«, sagte sie mit Nachdruck. »Ich fühle mich geschmeichelt, dass sie dabei an mich gedacht haben. Und abgesehen davon finde ich es gut, wenn ich mein eigenes Geld verdiene. Ich verspreche dir, dass ich abends nicht mehr arbeiten werde. Wenn du von der Bibliothek nach Hause kommst, wirst du hier nicht vom Surren der Maschine empfangen. Und wenn ich mir privat Stoff kaufe, kann ich jetzt auch Anziehsachen für Arina nähen.«
    Ich lächelte und sagte, das sei eine hervorragende Idee, und dann verbrachte Soja zu meiner Überraschung den Rest des Abends an der Nähmaschine und widmete sich den diversen Vorlagen, die man ihr ebenfalls zugestellt hatte, damit sie schon einmal anfangen konnte, bevor der Mann von Newsom’s in der darauffolgenden Woche wiederkam. Ich schaute zu, wie sie konzentriert zu Werke ging und die Augen zusammenkniff, als sie eine Linie von Stichen entlang eines feinen hellen Stücks

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