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Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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denn?«
    »Angst.«
    »Angst?«, wiederholte ich und sah sie überrascht an. »Aber die haben doch keine Angst voreinander. Sie sind füreinander bestimmt. Das ist ihnen vom ersten Moment ihrer Begegnung an klar.«
    »Aber der Ausdruck auf ihren Gesichtern, Georgi«, sagte sie, wobei sie ihre Stimme ein wenig hob, enttäuscht von meiner Naivität. »Ja, ich weiß, es sind bloß Schauspieler, aber hast du es nicht auch erkannt? Mir kam es so vor, als sähen sie einander voller Entsetzen an, als wüssten sie, dass sie die Kette von Ereignissen, die sie mit ihrer Begegnung in Gang gesetzt hatten, unmöglich kontrollieren könnten. Das Leben, das jeder von ihnen bis dahin gelebt hatte, war von diesem Moment an unwiderruflich vorbei. Und von da an spielte es keine Rolle mehr, was als Nächstes geschehen würde. Ihr Schicksal war da bereits besiegelt.«
    »Das ist ja eine ziemlich pessimistische Betrachtungsweise, Soja«, sagte ich, mit ihrer Interpretation der Szene unzufrieden.
    »Was sagt Wronski später noch einmal zu Anna?«, fragte sie, ohne auf meine Bemerkung einzugehen. » Du und ich sind verdamm t … verdammt zu unvorstellbarer Verzweiflung. Oder Glückseligkei t … unvorstellbarer Glückseligkeit. «
    »Ich kann mich nicht daran erinnern, dass das im Buch steht«, bemerkte ich.
    »Nein, kannst du nicht? Vielleicht steht es ja auch gar nicht drin. Es ist schon so viele Jahre her, dass ich den Roman gelesen habe. Aber wie dem auch sei, irgendwie verstehe ich diese Frau.«
    »Aber du bist nicht so«, sagte ich lachend.
    »Ach nein?«
    »Anna liebt Karenin nicht«, erklärte ich. »Aber du liebst mich.«
    »Natürlich«, erwiderte sie sofort. »Das habe ich auch nicht gemeint.«
    »Und du würdest dir nie einen Seitensprung erlauben, so wie Anna es tut.«
    »Nein«, sagte sie und schüttelte den Kopf. »Aber ihre Traurigkeit, Georgi. Wie sie beim Verlassen des Zuges erkennt, dass ihr Leben bereits vorbei ist, dass es fortan nur noch darum geht, die ihr noch verbleibende Zeit zu ertragen, so lange, bis sie am Ende angelangt ist … kommt dir das nicht irgendwie bekannt vor?«
    Ich blieb wie angewurzelt stehen und drehte mich zu ihr hin, mit einem Stirnrunzeln, das mein Gesicht verfinsterte. Ich wusste nicht, wie ich auf ihre Worte reagieren sollte. Ich brauchte Zeit, um darüber nachzudenken, Zeit, um dahinterzukommen, was sie mir zu sagen versuchte.
    »Ach, vergiss es, das ist nicht weiter wichtig«, sagte sie schließlich, wobei sie mich anlächelte. »Komm, Georgi, wir sind zu Hause.«
    Als wir in die Wohnung kamen, schlief Arina bereits fest, und Rachel versicherte uns, dass unsere Tochter das mit Abstand entzückendste Kind sei, mit dem sie jemals einen Abend habe verbringen dürfen – etwas, das wir bereits wussten, aber trotzdem gern hörten.
    »Ich bin schon seit Jahren nicht mehr im Kino gewesen«, sagte sie, als sie für den kurzen Weg zur Nachbarwohnung in ihren Mantel schlüpfte. »Mein Albert hat mich ständig ausgeführt, als er mir den Hof gemacht hat. Wir haben uns damals alles Mögliche angesehen. Ja, so war das. Am besten hat mir immer Charlie Chaplin gefallen. Sie mögen seine Filme doch sicher auch, oder?«
    »Wir haben noch nie einen gesehen«, gestand ich. »Der Name ist uns natürlich ein Begriff, aber …«
    »Was? Sie haben noch nie einen Charlie-Chaplin-Film gesehen?«, fragte sie völlig entgeistert. »Dann dürfen Sie sich den nächsten aber nicht entgehen lassen, also wirklich! Ich werde dann wieder bei Ihnen babysitten, und zwar mit Vergnügen. Er ist einfach der Beste, der gute alte Charlie. Wussten Sie, dass ich ihn gut gekannt habe, als er ein Junge war? Er ist in Walworth aufgewachsen. Gleich um die Ecke von mir. Unglaublich, was? Er lief dort immer herum, in kurzen Hosen und nichts als Flausen im Kopf. Der hat mit jedem seine Späße getrieben. Ich wohnte damals an der Sandford Row, und mein Albert, der stammte von den Faraday Gardens. Jeder kannte damals jeden, und der gute alte Charlie, der war schon als Junge wegen seiner Kaspereien berühmt. Aber er hat’s zu was gebracht, oder? Schauen Sie ihn sich heute an! Ein Millionär, drüben in Amerika, und alles, was Rang und Namen hat, tanzt nach seiner Pfeife. Es ist kaum zu glauben. Wer hat denn in dem Film heute Abend mitgespielt? Sie haben noch nie einen Charlie-Chaplin-Film gesehen? Ich fasse es nicht!«
    »Greta Garbo«, sagte Soja mit einem Lächeln. »Georgi ist ein bisschen in sie verschossen. Haben Sie das

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