Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose
zu sagen, wie er sich verhalten solle. Doch schließlich stürmte ich zum Bett, mit einem gewaltigen, tierischen Brüllen, das aus meiner Magengrube emporstieg, und hob Soja in meine Arme, wobei mir Tränen über die Wangen liefen, als ich ihr in die Augen schaute und ein ums andere Mal ihren Namen schrie, in einem verzweifelten Versuch, sie wiederzubeleben.
Nach einigen Sekunden begannen ihre Augenlider leicht zu zucken; ihre Pupillen konzentrierten sich einen Moment lang auf meine, bevor sie wegschaute und einen erschöpften Seufzer von sich gab. Sie goutierte meine Anwesenheit kein bisschen – sie wollte nicht gerettet werden. Ich lief schnell zum Kleiderschrank, schnappte mir zwei Halstücher, und nachdem ich die Stellen lokalisiert hatte, wo die Messerklinge eingedrungen war, verband ich die Wunden fest, um die Blutungen zu stoppen. Ein Schrei drang aus Sojas Kehle, und sie flehte mich an, sie allein zu lassen, sie in Ruhe zu lassen, aber ich konnte und wollte das nicht, und nachdem ich ihre Arme verbunden hatte, rannte ich nach draußen und die Straße hinunter, wo es zu unserem Glück eine Arztpraxis gab. Ich muss wie ein Wahnsinniger ausgesehen haben, als ich dort hineingestürmt kam, mit wildem Blick, mein Hemd, meine Arme, mein Gesicht mit Sojas Blut beschmiert. Eine Frau mittleren Alters, die im Aufnahmebereich saß, stieß einen gellenden Schrei aus. Vermutlich hielt sie mich für einen Amokläufer. Dennoch war ich geistesgegenwärtig genug, um der Sprechstundenhilfe zu erklären, was passiert war, und um sie um Hilfe zu bitten, um Hilfe zu verlangen, und zwar sofort, auf der Stelle, ehe es zu spät war.
In der darauffolgenden Woche wunderte ich mich des Öfteren über die Kopfschmerzen und die Übelkeit, die mich an jenem Tag befallen hatten. Normalerweise kannte ich solche Beschwerden nicht, doch wäre ich an jenem Tag, wie üblich, bei bester Gesundheit gewesen, so hätte ich den ganzen Tag in der Bibliothek des British Museum verbracht und wäre zum Zeitpunkt meiner Heimkehr Witwer gewesen.
In Anbetracht des Lebens, das ich geführt habe, der Menschen, die ich gekannt habe, und der Orte, die ich gesehen habe, scheint es mir verwunderlich, dass ich mich von jemandem eingeschüchtert fühlte, nur weil er eine verantwortungsvolle Position bekleidete, doch Dr. Hooper, der sich während ihres Krankenhausaufenthalts um Soja kümmerte, flößte mir eine gewisse Ehrfurcht ein, und ich hatte Angst, vor ihm als Dummkopf dazustehen. Er war ein älterer, in einen teuren Tweedanzug gehüllter Herr mit einem gepflegten Romanowbart, durchdringenden blauen Augen und einem schlanken, athletischen Körper, wie man ihn bei einem Mann seines Alters und Standes nicht erwartet hätte. Ich nahm an, dass er die Ärzte und Krankenschwestern unter seinem Kommando in Angst und Schrecken versetzte und dass Dummheit ihm ein Gräuel war. Ich ärgerte mich, dass er es während der Wochen, in denen sich meine Frau im Krankenhaus von ihren Verletzungen erholte, nicht für nötig erachtete, mich persönlich ins Bild zu setzen – wann immer er mir auf dem Flur über den Weg lief und ich ihn anzusprechen versuchte, wimmelte er mich ab, weil er gerade zu beschäftigt sei, und verwies mich stattdessen an einen seiner Assistenzärzte, die über den Zustand meiner Frau jedoch genauso wenig zu wissen schienen wie ich selbst. Am Tag, bevor ich sie nach Hause holen durfte, rief ich jedoch vorher bei seiner Sekretärin an und bat um einen Termin bei Dr. Hooper, bevor dieser ihren Entlassungsschein unterschrieb. Und so kam es, dass ich, drei Wochen nachdem ich Soja blutend und sterbend auf unserem Bett vorgefunden hatte, in einem großen, komfortablen Büro im obersten Stockwerk der psychiatrischen Abteilung saß und diesen überaus beeindruckenden Arzt beobachtete, während er die Krankenakte meiner Frau gründlich studierte.
»Mrs Jatschmenews äußere Verletzungen sind sehr gut verheilt«, verkündete er schließlich. Nachdem er die Akte beiseitegelegt hatte, musterte er mich von der anderen Seite des Schreibtischs. »Die Wunden, die sie sich zugefügt hat, waren nicht tief genug, um die Arterien zu verletzen. Das ist ihr Glück gewesen. Aber die wenigsten Menschen wissen, wie man das richtig angeht.«
»Es war alles voller Blut«, sagte ich zögernd, denn ich wollte mir die grässliche Szene nicht noch einmal vor Augen führen, hielt es aber für wichtig, dass er die ganze Geschichte erfuhr. »Ich dachte … also, als ich sie fand …
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