Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose
nun, sie war extrem blass und …«
»Mr Jatschmenew«, sagte er und hob eine Hand in die Höhe, um mich zum Schweigen zu bringen, »seitdem Ihre Frau bei uns eingeliefert wurde, sind Sie zwei oder drei Mal am Tag hier gewesen, stimmt’s? Ihre Anteilnahme hat mich sehr beeindruckt – es würde Sie überraschen, wie wenige Ehemänner sich die Mühe machen, ihre Frauen zu besuchen, egal aus welchem Grund man sie eingeliefert hat. Und während dieser Zeit haben Sie doch sicher eine Besserung ihres Zustands festgestellt, oder? Es besteht für Sie kein Grund mehr, sich wegen ihrer physischen Verletzungen noch irgendwelche Sorgen zu machen. Es können ein paar Narben an ihren Armen zurückbleiben, aber diese werden im Laufe der Zeit verblassen und dann praktisch nicht mehr zu sehen sein.«
»Ich danke Ihnen«, sagte ich, wobei mir ein Seufzer der Erleichterung entfuhr. »Ich muss zugeben, dass ich schon das Schlimmste befürchtet hatte, als ich sie so fand.«
»Aber Sie kennen natürlich mein Fachgebiet und wissen, dass ich mich eher mit psychischen Narben beschäftige. Wie Ihnen bekannt sein dürfte, muss jeder versuchte Suizid eingehend beurteilt werden, ehe wir den Täter nach Hause entlassen können.«
Den Täter!
»Und zwar in erster Linie um seinetwillen. Ich habe mich in den letzten Wochen ausgiebig mit Ihrer Frau unterhalten, um ihrem Verhalten auf den Grund zu gehen, und ich muss Ihnen ehrlich sagen, Mr Jatschmenew, sie gibt mir Anlass zur Sorge.«
»Sie meinen, sie könnte es noch einmal versuchen?«
»Nein, das ist eher unwahrscheinlich«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Die meisten Überlebenden eines Selbstmordversuchs schämen sich ihrer Tat und sind zu schockiert, um es noch ein zweites Mal zu versuchen. Die meisten wollen sich gar nicht umbringen, verstehen Sie? Das Ganze ist, wie man so schön sagt, ein Hilfeschrei.«
»Und Sie glauben, das ist auch bei meiner Frau der Fall?«, fragte ich hoffnungsvoll.
»Hätte sie es wirklich gewollt, dann hätte sie sich eine Pistole beschafft und sich erschossen«, erwiderte er, als wäre dies die selbstverständlichste Sache der Welt. »Dann gibt es nämlich kein Zurück mehr. Menschen, die überleben, wollen überleben. Das spricht zunächst einmal für Ihre Frau.«
In Sojas Fall war ich mir da nicht so sicher, denn normalerweise wäre ich erst gut sechs Stunden später nach Hause gekommen. Und in dieser Zeit wäre sie sicher verblutet, egal welche Venen sie durchtrennt hatte. Und wo in aller Welt hätte sie eine Pistole auftreiben sollen? Vielleicht beurteilte Dr. Hooper uns alle nach den Maßstäben seines privaten Waffenarsenals. Er wirkte in jeder Hinsicht wie ein Mann, der seine Wochenenden mit einer Flinte in der Hand verbrachte, um gemeinsam mit Angehörigen des niederen Adels alle möglichen Wildtiere zur Strecke zu bringen.
»Und im Fall Ihrer Frau«, fuhr er fort, »bin ich mir sicher, dass der Schock des Suizidversuchs, zusammen mit ihren Gefühlen für Sie, eine solche Wiederholung verhindern dürfte.«
»Ihre Gefühle für mich?«, fragte ich und zog eine Augenbraue hoch. »Als sie das gemacht hat, da dachte sie offenbar nicht an mich, oder?«
Diese Worte waren unter meiner Würde, doch meine Stimmung war, so wie die von Soja, während der letzten Wochen von Zuversicht in eine pechschwarze Trostlosigkeit umgekippt. Es gab Nächte, in denen ich wach dalag und an nichts anderes dachte als daran, wie nahe sie dem Tode gewesen war und wie ich ohne sie hätte weiterleben sollen. Es gab Tage, an denen ich mir schwere Vorwürfe machte, weil ich ihr Leiden nicht erkannt und ihr nicht geholfen hatte. Es gab Zeiten, wo ich mir vor Enttäuschung die Haare raufte, darüber erzürnt, dass sie so wenig an mich gedacht hatte, dass sie mir solche Qualen bereiten konnte.
»Sie sollten nicht glauben, dass das etwas mit Ihnen zu tun hat«, sagte Dr. Hooper schließlich, als hätte er meine Gedanken gelesen, und dann kam er hinter seinem Schreibtisch hervor und ließ sich neben mir in einen Sessel fallen. »Es hat nicht das Geringste mit Ihnen zu tun. Es liegt einzig und allein an Ihrer Frau. An ihrer Psyche, ihrer Depression, ihrem Unglück.«
Ich schüttelte den Kopf, denn ich konnte nicht fassen, was er da gesagt hatte. »Dr. Hooper«, sagte ich, wobei ich meine Worte sorgfältig wählte, »Sie müssen wissen, Soja und ich führen eine sehr glückliche Ehe. Wir streiten uns fast nie, und wir lieben einander sehr.«
»Und Sie sind zusammen seit
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