Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose
klarmachen, dass sie für keines dieser Ereignisse verantwortlich ist«, sagte er, bevor er sich erhob und mir bedeutete, dass unser Gespräch damit beendet war. »Das ist natürlich meine Aufgabe, bei der ambulanten Behandlung. Aber es ist auch Ihre Aufgabe, in Ihrem gemeinsamen Leben.«
Soja war bereits angezogen und wartete auf mich, als ich auf die Station kam. Sie saß auf der Bettkante, sauber und adrett, in einem schlichten Baumwollkleid und einem Mantel, zwei Kleidungsstücken, die ich ihr am Vortag von zu Hause mitgebracht hatte. Sie schaute auf und lächelte, als sie mich auf sich zukommen sah, und ich lächelte ebenfalls und nahm sie in die Arme, wobei ich erleichtert zur Kenntnis nahm, dass mir der Anblick der großen Verbände an ihren Handgelenken erspart blieb, da sie sich unter den Ärmeln ihres Mantels verbargen.
»Georgi«, sagte sie leise, und dann brach sie in Tränen aus, als sie meinen offenbar ambivalenten Gesichtsausdruck wahrnahm. »Es tut mir so leid. Ich wollte dir nicht wehtun.«
»Ist schon in Ordnung«, sagte ich – eine merkwürdige Wortwahl, denn natürlich war es keineswegs in Ordnung. »Wenigstens kommst du jetzt endlich hier raus. Alles wird gut, das verspreche ich dir.«
Sie nickte und hakte sich bei mir ein, als wir die Station verließen. »Gehen wir jetzt nach Hause?«, fragte sie mich.
Nach Hause? Noch so ein merkwürdiger Begriff. Wo war das eigentlich, unser Zuhause? Nicht hier in London. Und auch nicht in Paris. Zuhause, das war Hunderte von Kilometern entfernt, ein Ort, an den wir nie wieder zurückkehren könnten. Ich würde sie nicht anlügen, indem ich ihre Frage mit Ja beantwortete.
»Zurück in unsere kleine Wohnung«, sagte ich leise. »Um die Tür hinter uns zu schließen und um zusammen zu sein, wie es unsere Bestimmung ist. Nur wir beide. GeorgiundSoja.«
Die Unterschrift des Zaren
Dass es auf diese Weise enden sollte, in einem Eisenbahnwaggon in Pskow, versetzt mich heute noch in Erstaunen.
Den Anbruch des Jahres 1917 feierten wir nicht so heiter oder ausgelassen, wie es an den vorausgegangenen Silvesterabenden der Fall gewesen war. Im Umfeld des Zaren zeigten sich zunehmend Auflösungserscheinungen, sodass ich bereits in Erwägung gezogen hatte, St. Petersburg zu verlassen und wieder nach Kaschin zurückzukehren oder vielleicht nach Westen zu ziehen, um dort ein völlig neues Leben anzufangen. Nur die Tatsache, dass Anastasia ihre Familie niemals verlassen hätte – und man es mir nicht gestattet hätte, sie mitzunehmen –, hielt mich davon ab, diese Pläne in die Tat umzusetzen. Doch alle, die dem kaiserlichen Hofstaat angehörten, spürten die zunehmende Anspannung. Das Ende war absehbar – es war nur noch eine Frage der Zeit.
Der Zar hatte den Großteil des Jahres 1916 bei seinen Streitkräften verbracht, und während seiner Abwesenheit hatte die Zarin die politische Führung übernommen. Während er seine Aufgabe in der Stawka erfüllte, dominierte sie die Regierung mit einer Energie und Beharrlichkeit, die ebenso beeindruckend wie irregeleitet war. Denn sie sprach natürlich nicht mit ihrer eigenen Stimme, sondern wiederholte lediglich das, was ihr der Starez eingeflüstert hatte. Sein Einfluss war überall spürbar gewesen. Doch nun war er tot, der Zar war weit weg, und sie war allein.
Die Nachricht von Vater Grigoris Tod hatte das Winterpalais eine Woche nach jenem schrecklichen Dezemberabend erreicht, an dem man seine vergiftete und von Kugeln durchsiebte Leiche in die Newa geworfen hatte. Die Kaiserin war natürlich bestürzt und forderte, dass die Mörder für ihr Verbrechen erbarmungslos zur Rechenschaft gezogen werden sollten, doch als sie die Angreifbarkeit ihrer eigenen Position erkannte, begann sie ihre Verzweiflung in sich hineinzufressen. Manchmal beobachtete ich, wie sie in ihrem Salon saß und mit ausdrucksloser Miene zum Fenster hinausschaute, während sich eine ihrer Kammerzofen über irgendeinen belanglosen Hofklatsch ausließ. In ihren Augen konnte ich jedoch zugleich den Willen erkennen, ungeachtet aller Widrigkeiten weiterzumachen und zu herrschen. Ich bewunderte sie dafür. Vielleicht war sie ja doch nicht nur Rasputins Einflüsterungen gefolgt.
Als der Zar für einen kurzen Weihnachtsbesuch nach Hause zurückkehrte, beharrte die Zarin jedoch darauf, dass Felix Jussupow der Prozess gemacht wurde, aber da der Fürst entfernt mit der kaiserlichen Familie verwandt war, behauptete der Zar, er könne in dieser Hinsicht nichts
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