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Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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Augen zusammenkniff und seine Hand nach mir ausstreckte, um mir ein paar Staubkörner vom Kragen zu wischen – eine aggressive Geste, die mich zurückschrecken ließ.
    »Es kümmert mich kein bisschen«, log ich, denn ich spürte, wie sehr sich die Welt über Nacht verändert hatte und dass neue Gefahren in ihr lauerten. »Es interessiert mich eben.«
    »Dich interessiert, was mit Romanow geschehen ist?«
    »Ja, ich möchte es wissen, das ist alles«, beharrte ich. »Ich bin zu Bett gegangen … ich weiß nicht, ich muss ziemlich erschöpft gewesen sein. Ich habe es wohl verschlafen. Von einem anderen Zug habe ich jedenfalls nichts mitbekommen.«
    »Wir sind alle erschöpft«, sagte er und zuckte mit den Schultern. »Aber jetzt ist es vorbei. Von nun an wird alles besser werden.«
    »Was für ein Zug war das?«, fragte ich und ignorierte das offensichtliche Vergnügen, das ihm die Abdankung des Zaren bereitete. »Wann ist er hier eingetroffen?«
    »Na, so gegen zwei oder drei Uhr morgens«, sagte er und zündete sich die nächste Zigarette an. »Die meisten von uns haben geschlafen, nehme ich an. Aber ich nicht. Ich wollte mit eigenen Augen sehen, wie sie ihn wegbrachten. Der Zug kam aus St. Petersburg, auf demselben Gleis, und hielt etwa anderthalb Kilometer entfernt von uns an. An Bord war ein Trupp Soldaten mit einem Haftbefehl für Nikolaus Romanow.«
    »Sie haben ihn verhaften lassen?«, fragte ich entgeistert, tat ihm jedoch nicht den Gefallen, auf seine respektlose Titulierung des Zaren einzugehen. »Aber wieso? Er hatte doch getan, was sie von ihm verlangten.«
    »Die Soldaten sagten, es sei zu seinem eigenen Schutz. Dass er nicht in die Hauptstadt zurückkehren könne, weil er dort nicht sicher sei. Da geht alles drunter und drüber. Es gibt ständig Ausschreitungen. Im Palast wimmelt es von Leuten. Der Mob stürmt die Läden auf der Suche nach Brot und Mehl. Es herrscht totale Anarchie. Was natürlich alles seine Schuld ist.«
    »Deine Kommentare kannst du dir sparen«, zischte ich ihn an, denn allmählich riss mir die Geduld, und ich packte ihn beim Kragen. »Sag mir einfach, wo sie ihn hingebracht haben.«
    »He, Georgi, lass mich los!«, schrie er und starrte mich überrascht an, als er sich aus meinem Griff herauswand. »Was ist denn los mit dir?«
    »Was mit mir los ist?«, fragte ich. »Der Mann, dem wir gedient haben, ist in Gewahrsam genommen worden, und du stehst da und rauchst Zigaretten, als wäre heute ein Morgen wie jeder andere.«
    »Aber es ist ein herrlicher Morgen«, sagte er, offenkundig darüber erstaunt, dass ich seine Gefühle nicht teilte. »Hast du dich nicht auch nach diesem Tag gesehnt?«
    »Warum haben sie nicht diesen Zug hier genommen?«, fragte ich, ohne auf seine Frage einzugehen, und deutete auf das kaiserliche Transportmittel, auf die insgesamt fünfzehn Waggons, die nun auf diesen Schienen gestrandet waren. »Warum haben sie einen anderen geschickt?«
    »Romanow muss auf seinen gewohnten Luxus verzichten«, erzählte er. »Er ist jetzt ein Gefangener, verstehst du? Er besitzt nichts mehr. Er hat kein Geld. Dieser Zug gehört ihm nicht mehr. Dieser Zug gehört jetzt Russland.«
    »Bis gestern war er Russland.«
    »Aber jetzt ist heute.«
    Ich war drauf und dran, ihn herauszufordern, ihn am Kragen zu packen und ihm einen kräftigen Nasenstüber zu versetzen, damit er zurückschlug und ich dann meine Wut an ihm auslassen konnte, doch es war sinnlos.
    »Georgi Daniilowitsch«, sagte er lachend und schüttelte den Kopf. »Ich kann es nicht glauben. Du bist tatsächlich das Hündchen des Zaren, nicht wahr?«
    Angesichts dieser Bemerkung schürzte ich angewidert die Lippen. Ich wusste, dass es unter den Mitgliedern der kaiserlichen Entourage so manchen gab, der den Zaren und alles, wofür dieser stand, verachtete, doch ich empfand für den Mann eine Loyalität, die durch nichts zu erschüttern war. Er hatte mich gut behandelt, das stand außer Frage, und ich würde ihn jetzt nicht verleugnen – ungeachtet der möglichen Folgen.
    »Ich bin sein Diener«, sagte ich. »Bis ans Ende meiner Tage.«
    »Ach ja?«, murmelte er, wobei er auf den Staub unter seinen Füßen hinabschaute und mit der Stiefelspitze in den Boden stieß. Ich drehte mich von ihm weg, denn ich wollte mich nicht mehr mit ihm unterhalten und blickte in die Ferne, nach Norden, in Richtung St. Petersburg. Natürlich würden sie ihn nicht dorthin zurückbringen. Wenn die Unruhen tatsächlich so schlimm waren, wie Peter

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