Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose
Fäusten und trommelte auf meine Schultern ein, aber ich spürte nichts, sondern stand einfach nur da, bis Soja sie von mir wegzog. »Sag es mir!«, schrie sie weiterhin, doch ihre Worte gingen in einem so jammervollen Schluchzen unter, dass man sie kaum verstehen konnte.
»Georgi?«, fragte Soja, wobei sie mich anschaute und nervös schluckte. »Georgi, was ist? Wir müssen es wissen. Du musst es ihr sagen.«
Ich nickte und schaute sie an, unsicher, wie ich etwas so Unaussprechliches in Worte fassen sollte.
Die Hinrichtung fand am darauffolgenden Morgen statt. Weder Soja noch ich waren dabei zugegen. Sophie durfte noch dreißig Minuten mit ihrem Lebensgefährten verbringen, bevor er in den Hof geführt und guillotiniert wurde. Ich war entsetzt – mehr als entsetzt –, als ich erfuhr, dass dies seine Strafe sein sollte, dass eine Tötungsvorrichtung, die ich mit der Französischen Revolution in Verbindung brachte, auch noch über ein Jahrhundert später Anwendung fand, um Todesurteile zu vollstrecken. Es war schlicht barbarisch. Keiner von uns dreien konnte glauben, dass man unserem Freund eine solche Strafe zugemessen hatte – ihm, diesem gut aussehenden, witzigen, vor Leben sprühenden jungen Mann. Doch es gab kein Entrinnen. Das Urteil war verkündet und wurde binnen vierundzwanzig Stunden vollstreckt.
Danach hatte Paris seinen Reiz für uns verloren. Ich reichte Monsieur Ferré meine schriftliche Kündigung ein, der meinen Brief jedoch zerriss, ohne ihn gelesen zu haben, und mir sagte, es spiele keine Rolle, was darin stehe, denn er hätte mich in jedem Fall gefeuert.
Es spielte keine Rolle.
Sophie besuchte uns noch einmal, bevor sie das Land verließ, und bedankte sich für unsere Hilfe. Sie versprach, uns zu schreiben, sobald sie – wo auch immer – angekommen war.
Auch Soja und ich beschlossen, Paris zu verlassen. Es war ihre Entscheidung, aber ich hatte nichts dagegen einzuwenden.
In unserer letzten Nacht in der Stadt saßen wir in unserer leeren Wohnung und schauten durch das Fenster auf die Türme der vielen Kirchen, mit denen die Stadt übersät war.
»Es war meine Schuld«, sagte sie.
Die Reise nach Jekaterinburg
Als ich mich in jener Nacht in eines der schmalen Feldbetten fallen ließ, die entlang der Wände des Waggons der Leibgardisten aufgestellt waren, bezweifelte ich, dass mir Schlaf vergönnt sein würde. Der Tag war unschön ausgeklungen: Der Zar war in eine tiefe Depression gesunken, und diejenigen von uns, die seiner unmittelbaren Entourage angehörten, zeigten sich betreten und tieftraurig. Ich gebe es nur ungern zu, aber ich schluchzte in mein Kopfkissen, denn ich war bis ins Innerste aufgewühlt, und obwohl mir schließlich die Augen zufielen, ließen mich meine wirren Träume nicht zur Ruhe kommen. In jener Nacht wachte ich immer wieder auf, jedes Mal desorientiert und verängstigt. Doch irgendwann fiel ich in einen tieferen Schlummer, und als ich die Augen wieder öffnete, war nicht nur die Nacht vorüber, sondern auch ein Großteil des Vormittags. Ich blinzelte und wartete darauf, dass sich die Ereignisse des Vortags als Traumgespinst erweisen würden, doch anstatt zu verblassen und sich in Luft aufzulösen, wurden sie immer deutlicher und verfestigten sich, und da erkannte ich, dass das Unvorstellbare tatsächlich eingetreten war.
Sonnenlicht strömte durch die Fenster hinein. Ich blickte um mich, um zu sehen, wer sich sonst noch im Waggon aufhielt, doch zu meiner großen Überraschung war ich mutterseelenallein. In diesem Teil des Zuges wimmelte es fast immer von Mitgliedern der Leibgarde, die schliefen oder zu schlafen versuchten, die sich ankleideten, sich unterhielten oder sich in die Haare gerieten. Jetzt herrschte eine gespenstische Stille. Ich stieg langsam aus dem Bett, schlüpfte in Hemd und Hose und spähte vorsichtig nach draußen, in das Dickicht der kalten, endlosen Wälder, die sich zu beiden Seiten des Zuges über Hunderte von Kilometern erstreckten.
Im Laufschritt durchquerte ich den Speisewagen, das Spielzimmer und die Waggons mit den Privatgemächern der Großfürstinnen, bis ich schließlich vor dem privaten Arbeitszimmer des Zaren stand. Ich klopfte an die Tür, hinter der der Zar am vorangegangenen Nachmittag auf seinen Thronanspruch und den seines Sohnes verzichtet hatte. Als niemand antwortete, beugte ich mich vor und legte mein Ohr an das Holz, um zu hören, ob sich drinnen etwas regte.
»Euer Majestät«, rief ich, fest entschlossen, ihn
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