Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
Vom Netzwerk:
galt.
    »Wie ich Ihnen bereits gesagt habe, Mr Jatschmenew«, erwiderte sie, »die Behandlungen können das Voranschreiten des Krebses lediglich verlangsamen. Chemotherapie wird natürlich eine wichtige Rolle spielen. Es wird chirurgische Eingriffe geben, und zwar möglichst schnell, um die Ovarien zu entfernen. Und um eine Hysterektomie werden wir auch nicht herumkommen. Dabei können wir gleichzeitig Biopsien von den Lymphknoten Ihrer Frau machen, von Ihrem Zwerchfell und Ihrem Beckengewebe, um herauszufinden, ob …«
    »Und wenn ich mich nicht behandeln lasse?«, fragte Soja mit einer leisen, aber festen Stimme, die den kalten Granit dieser medizinischen Fachbegriffe durchschnitt. Begriffe, die Dr. Crawford in der Vergangenheit sicherlich schon tausend Mal von sich gegeben hatte.
    »Wenn Sie sich nicht behandeln lassen, Mrs Jatschmenew«, erwiderte sie, offenbar auch an diese Frage gewohnt, die mich bestürzte – wie leicht es dieser Dame doch fiel, dermaßen schreckliche Dinge zu erörtern –, »dann wird sich der Krebs mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weiter ausbreiten. Die Schmerzen werden in etwa die gleichen sein, die Sie jetzt haben, doch dagegen könnten wir Ihnen Medikamente verabreichen. Aber eines Tages wird es Sie kalt erwischen, und mit Ihrer Gesundheit wird es rapide bergab gehen. Das wird der Zeitpunkt sein, wenn der Krebs sein letztes Stadium erreicht hat, wenn er die Bauchhöhle verlässt und Ihre inneren Organe angreift – die Leber, die Nieren und so weiter.«
    »Natürlich werden wir sofort mit der Behandlung beginnen«, forderte ich, und Dr. Crawford lächelte mich an, mit der Nachsicht, die eine mitfühlende Großmutter ihrem schwachsinnigen Enkelkind entgegenbringt, und wandte sich dann wieder meiner Frau zu.
    »Ihr Mann hat recht, Mrs Jatschmenew«, sagte sie. »Es ist wichtig, dass wir so schnell wie möglich mit der Behandlung beginnen. Das verstehen Sie doch, oder?«
    »Wie lange wird es dauern?«, fragte Soja.
    »Die Behandlung würde auf unbestimmte Zeit andauern«, erwiderte Dr. Crawford. »So lange, bis wir die Krankheit unter Kontrolle haben. Das kann eine kurze Zeit sein, es kann aber auch ewig dauern.«
    »Nein«, erwiderte Soja mit einem Kopfschütteln. »Ich meine, wie viel Zeit würde mir noch bleiben, wenn ich mich nicht behandeln ließe?«
    »Um Himmels willen, Soja!«, schrie ich, wobei ich sie anstarrte, als hätte sie völlig den Verstand verloren. »Was soll diese Frage? Hast du nicht verstanden, dass …«
    Sie hob eine Hand in die Höhe, um mich zum Schweigen zu bringen, aber ohne dabei in meine Richtung zu schauen.
    »Wie lange, Frau Doktor?«
    Dr. Crawford atmete laut aus und zuckte die Schultern, was mich nicht mit Zuversicht erfüllte. »Das ist schwer zu sagen«, erwiderte sie. »Diese Tests müssten wir auf jeden Fall machen, um genau zu bestimmen, in welchem Stadium sich der Krebs befindet. Aber ich würde sagen, nicht mehr als ein Jahr. Wenn Sie Glück haben, vielleicht ein wenig länger. Aber ich kann unmöglich sagen, wie Ihr Befinden während dieser Zeit sein wird. Es könnte sein, dass es Ihnen bis kurz vor dem Ende gut geht und der Krebs Sie dann sehr schnell attackiert. Es ist aber ebenso gut möglich, dass er Ihnen schon sehr bald ein schleichendes Dahinsiechen bringt. Es wäre für Sie wirklich das Beste, wenn wir sofort mit den nötigen Maßnahmen beginnen.« Sie öffnete einen schweren Terminkalender, der vor ihr auf dem Tisch lag, und fuhr mit dem Zeigefinger auf einer der Seiten entlang. »Also, die erste Beckenuntersuchung könnten wir am …«
    Sie kam nicht mehr dazu, ihren Satz zu vollenden, denn Soja war abrupt aufgestanden, hatte ihren Mantel vom Garderobenständer neben der Tür genommen und den Raum verlassen.
    Ursprünglich wollten wir nicht weiter östlich reisen als bis nach Helsinki, doch aus einer Laune heraus fuhren wir dann bis zu der ebenfalls am Finnischen Meerbusen gelegenen Hafenstadt Hamina. Der Matkahuolto-Bus schaukelte uns gemächlich durch Porvoo und dann ein Stück weit nördlich an Kotka vorbei – Namen, die mir sechzig Jahre zuvor ebenso geläufig gewesen waren wie mein eigener, aber während der dazwischenliegenden Jahrzehnte nach und nach aus meinem Gedächtnis verschwunden waren, verdrängt durch die Erfahrungen und Erinnerungen eines gemeinsam verbrachten Erwachsenenalters. Als ich diese Wörter jedoch wieder auf dem Busfahrplan las und ihre vergessenen Silben im Flüsterton vor mich hin sprach, da

Weitere Kostenlose Bücher